An der Kette

»Veit« – Thomas Harlan über seinen Vater

  • Uli Gellermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Buch wie ein Messer, in den Rippen eines Deutschland steckend, von dem das plätschernde Feuilleton nichts mehr wissen will, in Wahrheit nie hatte etwas wissen wollen. In einer Sprache gehämmert, die in der deutschen Literatur kaum Gleiches findet – so berichtet Thomas Harlan vom Sterben und Leben des Vaters: »Veit«, so lautet auch der Titel des Buches, das vom Ende des Regisseurs Harlan handelt, von dessen Film »Jud Süß« und auch vom Vater-Sohn-Konflikt und eigentlich vom Konflikt der Söhne mit ihren Nazi-Vätern.

Nicht alle hatten Väter, die mit einem Film der Judenvernichtung Vorschub leisteten. Aber fast alle beerbten treue Soldaten, brave Mitläufer, kleine Rädchen im Kriegs- und Vernichtungsapparat. Und die Westrepublik beerbte, auch daran lässt Thomas, der Sohn, keinen Zweifel, das Henker-Reich.

»Deine erste Frau«, schreibt Thomas am Sterbebett seines Vaters auf, »war Dora Gerson. Dora, Jüdin, Mutter aller ungezeugter Kinder, wurde in Auschwitz ermordet. Hast Du sie nicht gesucht?« Immer noch liebt der Sohn den Mann, den er hassen gelernt hat, ihm doppelt verbunden, an ihn gekettet, wie all die Söhne und Töchter an der Kette deutscher Geschichte liegen, kein Schlussstrich, niemals.

In Capri stirbt Veit Harlan, der Freund von Goebbels, der Lieferant von Nazi-Filmen, von »Jud Süß« bis hin zu »Kolberg«, dem Durchhalte-Drama, im Januar 1945 in Berlin und dem eingeschlossenen Kriegshafen La Rochelle aufgeführt. »Veit«, schreibt der Sohn, der bei den Dreharbeiten dabei war, »probte den Kessel. Er probte den Tod.« Tausende abkommandierte Soldaten singen für diesen Film »Das Volk steht auf ...« Bald sollte es auf der Schnauze liegen.

In zwei Prozessen, angeklagt wegen »Beihilfe zur Verfolgung«, wird der Regisseur später freigesprochen. Ein Hamburger Richter, der als Nazi-Sonderrichter zwanzig Todesurteile fällte, sprach ihn frei, notiert der Sohn: »Der Mordgehilfe blieb Richter in Deutschland.« Verheiratet mit einer Ärztin, die, im Rahmen der »Euthanasie« für die Ermordung von mindestens fünfzig behinderten Kindern verantwortlich war, bekam der Mann eine ordentliche Pension. Der Harlan-Sohn hat ein unerbittliches Gedächtnis: »Heilig waren auch, unschuldig, die Kriegsverurteilten, die Mörder aus der Union der Sowjetrepubliken, die KZ-Schergen, die Buchenwalder, die Gestapo-Beamten aus den weißrussischen Kommandozentralen, die Blutrünstigen, die sich in Friedland um Adenauer scharten«.

So machen die Worte Töne im Buch des Thomas Harlan und erzeugen zugleich eine Stille des Grauens, eine Schmerzensstille, aus Verlust und Verrat, aus Lüge und Trauer geboren. Kaum wahrgenommen hat das Feuilleton, dass der Sohn Waffen aus der Slowakei nach Israel geschmuggelt hatte, »wegen Dir«, dem Vater. Dass er nach Frankreich floh, um nie wieder Deutsch zu sprechen, dass er vier Jahre in Polen lebte, um deutsche Kriegsverbrechen zu dokumentieren, dass man ihm daraufhin den westdeutschen Pass entzog, dass man ihn »kommunistischer Tendenzen« zieh, lange bevor er der Gruppe »Lotta Continua« angehörte, der linken, radikalen Vereinigung von italienischen Arbeitern und Studenten.

Bald bekommt das neue Deutschland ein Museum der Vertreibung. Ob sie dort auch von der Reise Erika Manns berichten, »durch Pommerland« wie Thomas Harlan erinnert, »... und in ihren Artikeln für britische Zeitungen die Vertreiber beklatschte, die Güterwagen beklatschte, die tollwütigen Hunde beklatschte, welche fremde Länder gequält hatten.«

Alles, alles erinnert der junge Harlan: Den Kiesinger, den er in der scheinbar neuen Republik als Nazi-Strippenzieher erlebt hat; die FDP jener Zeit, die im Grunde ein Sammelbecken von Nazis war und damals eine Generalamnestie für alle NS-Vebrecher forderte, auch das Zu-Schweigen der Schuld: »Mein Vater wollte das alles nicht wissen.«

Thomas Harlan starb im Oktober des letzten Jahres, kurz nach der Vollendung des Buches. Wir müssen ihn vermissen.

Thomas Harlan: Veit. Rowohlt Verlag. 160 S., geb., 17,95 €.

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