Der Gewissenskonflikt bleibt

Befürworter und Gegner von Embryo-Tests bieten gleichermaßen gewichtige Argumente auf

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.
Heute stimmt der Bundestag über eine Neuregelung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) ab. Dabei werden Gentests an Embryonen vorgenommen, die nach künstlicher Befruchtung entstanden. Den 620 Abgeordneten liegen drei Gesetzentwürfe vor, die jeweils aus allen Fraktionen Unterstützer haben. Der Fraktionszwang ist bei dieser mit Spannung erwarteten Abstimmung aufgehoben.

Die katholischen Bischöfe in Deutschland und nicht wenige evangelische ebenso sind sich einig: genetische Tests (Präimplantationsdiagnostik – PID) an im Reagenzglas erzeugten Embryonen zur Bestimmung eventueller schwerer Erkrankungen sind verwerflich. Weniger einig sind sie sich bei der Begründung. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann verweist kaum verhüllt auf die tödliche Auslese »lebenswerter« und »nicht lebenswerter« Menschen im Nazi-Reich. Sein Essener Kollege Franz-Josef Overbeck erinnert noch einmal an die Grundposition, die schon dem Embryonenschutzgesetz und den Verfassungsgerichtsurteilen zum Abtreibungsparagrafen des Strafrechts zugrunde lag. Danach entsteht bereits mit der Befruchtung der Eizelle die »neue Identität« eines Menschen, dem der ganze Schutz des Grundgesetzes zukommt.

Der Hinweis auf die mit der Menschenwürde unvereinbare Selektion findet sich auch bei so manchem Atheisten, etwa dem Bundestagsabgeordneten der LINKEN Ilja Seifert. Seifert spricht sich folgerichtig auch für ein generelles PID-Verbot aus. Zudem sieht er auch bei einer Begrenzung der PID die Gefahr, dass diese auf immer mehr Krankheiten ausgeweitet werden könnte. Viele Behinderte kritisieren deshalb, sie hätten womöglich nie die Chance gehabt zu leben, wenn es PID schon vor ihrer Geburt gegeben hätte.

Über die Frage, ab wann ein Mensch ein eigenständiges, unter dem vollen Schutz des Grundgesetzes stehendes Individuum ist, gibt es noch weniger Einigkeit. Die PID-Befürworter vertreten ein Modell des abgestuften Schutzes: Solange der Embryo nicht in der Gebärmutter eingenistet ist – das passiert nur bei 30 Prozent –, wäre danach seine Schutzwürdigkeit am geringsten und in jedem Falle gegen die Rechte der Mutter abzuwägen.

Es gibt also über keine dieser Positionen einen allgemeinen Konsens, weder unter Ethikern und Medizinern noch in der Bevölkerung. Im Ergebnis dieser offenbar nicht endgültig auszuräumenden Differenzen ist die aktuelle Rechtslage ziemlich widersprüchlich, wie der Tübinger Philosoph Otfried Höffe kürzlich in der »Frankfurter Allgemeinen« schrieb. Hätten nämlich die PID-Gegner mit ihrer Annahme recht, dieses medizinische Verfahren verstoße gegen die Menschenwürde, das Lebensrecht des Embryos und das Diskriminierungsgebot, so müsste die deutsche Justiz gegen Ehepaare vorgehen, die die PID im Ausland nutzen und bei jenen Staaten, die sie erlaubt haben, protestieren, meint Höffe. Da das nicht geschieht und überdies auch in Deutschland eine Abtreibung nach der Feststellung eines ernsthaften genetischen Defekts zulässig ist, hält Höffe eine eng begrenzte Zulassung der PID für ethisch und verfassungsrechtlich vertretbar.

Da der Gesetzgeber – so Höffe – keine besondere Ethik-Kompetenz besitzt, verbiete es sich, ethisch umstrittene Positionen für strafrechtlich verbindlich zu erklären. Die Abgeordneten werden sich dennoch bei ihrer Entscheidung davon leiten lassen, was sie selbst für moralisch richtig halten.


Die Gesetzentwürfe

Verbot der PID
Unter Federführung der Abgeordneten Günter Krings (CDU), Ulla Schmidt (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) erarbeitete die Gruppe einen Entwurf für ein komplettes Verbot von Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden. Ärzte, die dem Verbot zuwiderhandeln, müssen mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Auch Kanzlerin Angela Merkel und Forschungsministerin Annette Schavan (beide CDU) plädieren für ein PID-Verbot. Die Gruppe wird von 192 Parlamentariern unterstützt.

Zulassung in engen Grenzen
Der Antrag stammt von René Röspel (SPD) und Priska Hinz (Grüne). Sie werden von Patrick Meinhardt (FDP), Norbert Lammert (CDU) und 32 weiteren Abgeordneten unterstützt. Demnach soll PID grundsätzlich verboten, nur in Ausnahmen erlaubt sein. Paaren mit genetischer Vorbelastung bzw. Chromosomenstörung und daher hoher Wahrscheinlichkeit einer Fehl- oder Totgeburt soll die PID möglich sein.

Zulassung in weiten Grenzen
Die Gruppe um Ulrike Flach (FDP), Peter Hintze (CDU), Carola Reimann (SPD) und Petra Sitte (LINKE) ist für ein PID-Verbot – mit deutlich mehr Ausnahmen. Die Gruppe hat 215 Unterstützer. Wenn die Nachkommen »eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit« haben oder eine genetische Schädigung bzw. eine Abweichung in den Chromosomen dazu führen würde, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet, soll PID nicht rechtswidrig sein. Das gilt auch für Krankheiten, die im höheren Lebensalter auftreten, oder für genetische Dispositionen wie etwa das Brustkrebs-Gen. Die PID darf dem Entwurf zufolge nur an lizenzierten Zentren vorgenommen werden. Beratung ist Pflicht. Eine Ethikkommission soll jeden Einzelfall entscheiden. Alle vier Jahre soll die Bundesregierung einen Erfahrungsbericht vorlegen. epd/ND

Was kann PID?

Chromosomenaneuploidie
Bei älteren Frauen steigt das Risiko, nicht die korrekte Zahl von Chromosomen in den Eizellen zu haben (Chromosomenaneuploidie). Auch die Spermazellen ölterer Männer können betroffen sein. Dann wird auch nicht die richtige Zahl von Chromosomen an die Nachkommen weitergegeben. In diesem Fall hat der Embryo mehr oder weniger als die korrekte Zahl von 46 Chromosomen. Eine typische Folge ist etwa die Trisomie 21 (Downsyndrom). Dabei ist das Chromosom 21 dreimal statt zweimal vorhanden. Oft ist auch das Chromosom 16 betroffen. »Bei über 40-Jährigen endet fast die Hälfte der Schwangerschaften in einem Abort, weil sich bis zu diesem Lebensalter bereits viele Chromosomenschäden angesammelt haben«, sagt Professor Markus Montag von der Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Uniklinik Bonn.

Genetische Defekte
Die Suche nach genetischen Defekten ist derzeit möglich, wenn man genau weiß, wonach man sucht. Anlass sind Fälle einer Erbkrankheit in der Familie. Ist diese bereits vor der Zeugung bekannt, kann ein Humangenetiker erste Hinweise geben. Nicht immer führen genetische Schäden der Eltern zu Schäden beim Embryo. Nach den Regeln der Vererbung können die Nachkommen gesund zur Welt kommen, wenn ein gesundes Gen des Vaters das defekte Gen der Mutter ausgleicht.

Besonders gut lässt sich das bei monogenetischen Erbkrankheiten verfolgen, bei denen eine Mutation ein genau bekanntes Leiden zur Folge hat. Dazu zählt etwa Chorea Huntington. Bei den Betroffenen ist das Protein Huntingtin defekt, Hirnschäden sind die Folge. »In diesem Fall weiß man, wie das auf dem Gen aussieht. Daher kann man einfach nachsehen, ob der Mensch krank oder nur Träger sein wird«, erläutert Montag. Viele andere Leiden allerdings – Bluthochdruck, Alzheimer, Diabetes – haben keine derart einfachen Ursachen. Darauf lassen sich Embryonen nicht testen. dpa/ND

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