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Mit knirschenden Knien am Eiger hinab

Johann-Rudolf und Hieronymus Meyer bezwangen vor 200 Jahren als Erste die Jungfrau

Abstieg auf dem Eiger-Trail zum Bahnhof nach Alpiglen.
Abstieg auf dem Eiger-Trail zum Bahnhof nach Alpiglen.

Schnee im Sommer – herrlich knirscht er unter den Füßen und weckt Vorfreude auf den nächsten Winter. Hier oben auf dem 3471 Meter hohen Jungfraujoch ist fast immer Winter. Hier steht man der alpinen Dreifaltigkeit Eiger, Mönch und Jungfrau ehrfürchtig gegenüber. Das Jungfraujoch ist wie eine große Theaterbühne, auf der das Wetter seinen großen Auftritt hat und manchmal ganz schön verrückt spielt – alle paar Minuten läuft ein anderes Stück. Wo eben noch Nebel war, gibt die Sonne jetzt den Blick auf den Berg frei. Zuweilen wird man auch ganz schön »vom Winde verweht«.

In diesem Jahr wird die Jungfrau ganz groß gefeiert. Vor 200 Jahren, am 3. August 1811, wurde sie zum ersten Mal bestiegen. Sie war der erste Viertausender der Schweizer Alpen, den Bergsteiger bezwangen, es waren die Brüder Johann-Rudolf und Hieronymus Meyer aus Aarau, denen dieser alpine »Spaziergang« auf 4158 Meter gelang. Doch keiner wollte ihnen glauben, weil die auf der Jungfrau gehisste Fahne vom Tal aus nicht zu sehen war. Im Sommer 1812 wiederholten sie deshalb ihre Tour. So ist das Fest zum 100-jährigen Jubiläum, das vom 30. Juli bis 7. August 2011 im ganzen Lauterbrunnental gefeiert wird, gewissermaßen auch ein später Triumph der Brüder über ihre Zweifler. Alpinisten wollen die Originalroute der beiden noch einmal in historischen Kleidern nachklettern.

Wir indes fahren mit Sepp Erni mit der Jungfraubahn vom Jungfraujoch – der höchsten Eisenbahnstation Europas – hinunter zur Station Eigergletscher, die gleich neben der ebenso berühmten wie gefürchteten Nordwand liegt. Uns zieht es nicht hinauf, sondern hinunter ins Tal – auf dem Eiger-Trail. Näher heran an die Nordwand führt kein Weg.

Lange galt sie als uneinnehmbar. Erst 1938 schaffte ein Alpinistenteam um Heinrich Harrer, die Bastion aus bröckligem Stein, Schnee und Eis zu bezwingen. Vor und nach ihm bezahlten Dutzende Bergsteiger den Versuch, die gefürchtete Wand zu erklimmen, mit dem Leben. Höchsten Respekt zollen die Bergsteiger ihr bis heute, dennoch nehmen etwa 100 Alpinisten jedes Jahr den Weg über die Nordwand, deren Fels über die Jahrtausende vom Eis regelrecht poliert wurde, zum Gipfel.

Sepp Erni, im »Hauptberuf« Rentner, im Nebenberuf Bergführer, Wanderleiter und Chef der »Regionalen Führungsorganisation für Katastrophen und Notlagen«, erzählt von dem unglaublichen Rekord, den der Schweizer Bergsteiger Daniel Arnold im April dieses Jahres aufstellte: »Wie Spiderman stieg er in zwei Stunden und 28 Minuten den glatten Felsen nach oben, 20 Minuten schneller als der bisherige Rekordhalter Ueli Steck.« Normalerweise braucht ein geübter Kletterer einen Tag dafür, Harrers Team erreichte den Gipfel nach drei zermürbenden Tagen und Nächten.

Lang genug haben wir nun die Nordwand bestaunt und uns deren Geschichten angehört, wir wollen nach Grindelwald. Mehr als sechs Kilometer geht's auf dem Eiger-Trail abwärts, die Kniegelenke knirschen bedrohlich, jeder ist froh, als endlich ein kleines Stück Weg aufwärts, ein Anstieg, sichtbar wird. Die Lunge pfeift bergauf, aber die Knie sind dankbar.

Anfangs laufen wir über einen schmalen Grat. Nichts für Leute mit Höhenangst, wir sind froh, als endlich eine breite Alpweide sichtbar wird. Über Geröllhalden und Bäche, vorbei an einem Wasserfall, führt der Weg ab und an über Schneebretter, die zwar festgetreten, aber dennoch rutschig, höchste Konzentration erfordern. Als wir am Weg einen einsamen Schuh ohne Senkel erblicken, meint Sepp fachmännisch: »Das ist ein guter Wanderschuh. Der könnte einem abgestürzten Bergsteiger gehört haben.« Eine gruselige Vorstellung, nur schnell weiter.

Der mehr als sechs Kilometer lange Eiger-Trail wurde 1941, drei Jahre nach der Erstbesteigung der Nordwand, vom Grindelwalder Adolf Gsteiger mit Pickel und Schaufel gebaut. 712 Höhenmeter führt er von der Bahnstation Eigergletscher auf 2320 Meter ins Dörfchen Alpiglen. Besonders das letzte Stück hat es in sich, hier geht es arg steil bergab. Nahezu fassungslos schaue ich, wie mein zeitweiliger Begleiter, ein junger Japaner, noch immer leichtfüßig in Richtung Bahnhof Alpiglen läuft. Dort verliere ich ihn aus den Augen, wahrscheinlich ist er längst auf dem rund 90-minütigen Weg nach Grindelwald. Ich entscheide mich für die Bahn, die 20 Minuten bis dorthin braucht. Meine Knie werden es mir danken, doch meine innere Stimme mault: Tu endlich mehr für die Kondition.

  • Infos: Schweiz Tourismus, Postfach 16 07 54, 60070 Frankfurt am Main, Tel.: (00800) 100 200 30, Fax: -31 (beides gebührenfrei), E-Mail: info@myswitzerland.com, Internet: www.MySwitzerland.com
  • Jungfrau Region: Postfach, 3818 Grindelwald, Tel.: (0041) (0) 33 854 12 40, Fax: -41, www.myjungfrau.ch
  • Jungfraubahnen: Tel.: (0041) (0) 33 828 72 33, www.jungfraubahn.ch
  • Grindelwald-Tourismus: Postfach 124, 3818 Grindelwald, Tel.: (0041) (0) 33 854 12 12, Fax: -10, www. grindelwald.com, E-Mail: touristcenter@grindelwald.ch
  • Reiseführer: Marco Polo, Berner Oberland, Verlag Mairdumont, ISBN: 978-38 29 70 37 40, 9,95 €
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