Die Wähler haben das letzte Wort

Grün-rotes Kabinett beschließt Gesetzentwurf zum finanziellen Ausstieg aus Stuttgart 21

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Gesa von Leesen, Stuttgart

Nach Massenprotesten, Schlichtung und Stresstest naht im Streit um Stuttgart 21 eine Entscheidung in den Wahllokalen – am Dienstag machte Grün-Rot den ersten Schritt zur Volksabstimmung.

Mit einem S21-Kündigungsgesetz will die Landesregierung von Baden-Württemberg die Wahlberechtigten an die Urnen bringen. Gestern wurde der Gesetzentwurf in Stuttgart vorgestellt. Im September wird das Gesetz im Landtag an den Mehrheitsverhältnisse scheitern und dann im November den Baden-Württembergern zur Abstimmung vorgelegt werden.

Dieser etwas komplizierte Weg ist die einzige halbwegs machbare Möglichkeit, die Bevölkerung über das umstrittene Bahnhofsprojekt abstimmen zu lassen. Jedenfalls indirekt. Denn in dem Gesetz geht es nicht grundsätzlich um den Bau des unterirdischen Bahnhofs, sondern um den Ausstieg des Landes aus dessen Finanzierung. Auf 4,5 Milliarden Euro ist das Projekt gedeckelt. 800 Millionen Euro davon zahlt das Land, dem hatte der Landtag im Mai 2009 zugestimmt. An den Mehrheitsverhältnissen der Pro- beziehungsweise Anti-S21-Parteien im Landtag hat sich mit der Wahl im März nichts Grundsätzliches geändert. Weiterhin haben die Pro-S21-Parteien CDU, FDP, SPD die Mehrheit. Aber inzwischen regiert die SPD als Juniorpartner mit den Grünen und die sind bekanntlich strikt gegen den Bahnhofsbau. In ihrem Koalitionsvertrag haben Grüne und SPD vereinbart, den Streit um das Projekt mit einer Volksabstimmung zu befrieden.

Das grün-rote Kabinett beschloss gestern mehrheitlich den Ausstiegs-Gesetzentwurf, der allerdings von fast allen SPD-Ministern abgelehnt wurde. Einzig Justizminister Rainer Stickelberger stimmte dafür. Er erklärte, man betrete zwar juristisches Neuland, sei aber überzeugt, dass Verfahren und Gesetz verfassungskonform sind. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte sich im vorigen Jahr mit der Verfassungsfrage befasst und ist zu dem Schluss gekommen: Verfahren und Ziel sind in Ordnung. Allerdings müsse in einer Volksabstimmung erklärt werden, was der Ausstieg das Land kostet.

Das wisse man nicht, so Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Die Bahn behauptet, ein Projektabbruch koste sie 1,5 Milliarden Euro und kündigte Schadensersatzansprüche an. In der Schlichtung hatten drei Wirtschaftsprüfgesellschaften dazu unterschiedliche Zahlen genannt – von 500 000 bis zu 1,5 Milliarden Euro. Hermann geht von deutlich weniger als 1,5 Milliarden aus, meinte aber: »Da werden sicher viele Juristen streiten.«

Als Begründung für den Gesetzentwurf führt Hermann das Demokratieprinzip an: »Mit der Landtagswahl hat es eine neue Regierung gegeben.« Und in dieser hege man Zweifel am Sinn von Stuttgart 21 – sowohl in verkehrspolitischer, als auch in ökologischer und finanzieller Hinsicht. Hinweise darauf, dass die festgeschriebenen 4,5 Milliarden Maximalkosten überschritten werden, häuften sich. Zudem gebe die Bahn keine Erklärung ab, dass sie eventuell auftretende Mehrkosten übernehmen wolle.

Sollte der Weg zum Volksentscheid nun ohne Störungen gegangen werden, erwartet die Baden-Württemberger nach dem Sommer ein bizarrer Wahlkampf: Dann haben die Grünen nicht nur die CDU gegen sich, sondern auch den eigenen Koalitionspartner. Es wird eine harte Auseinandersetzung werden, zumal laut Verfassung ein Drittel aller Abstimmungsberechtigten – etwa 2,5 Millionen Bürger und Bürgerinnen – für das Gesetz stimmen muss, damit das Land aus S21 aussteigen kann.

Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl ist überzeugt, dass die Mehrheit der Baden-Württemberger ohnehin für Stuttgart ist und forderte den Verkehrsminister gestern auf, diese Realität anzuerkennen. Strobl: »Statt sich als oberster S21-Verhinderer vor einer bestimmten Klientel zu profilieren, sollte Verkehrsminister Hermann das Projekt konstruktiv begleiten.« Kommentar Seite 8

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