Geschlossene Gesellschaft

Dokumentarfilmer folgten dem SPD-Führungspersonal hinter die Bühne

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit dem Verlust ihrer Regierungsbeteiligung im Jahr 2009 müht sich die SPD darum, enttäuschte Wähler zurückzugewinnen. Einen Blick hinter die Kulissen versuchte der Dokumentarfilm »Sozialdemokraten«, der am späten Dienstagabend in der ARD läuft.

In einem Aufzug will Sigmar Gabriel gegen Ende wissen, wie lang der Film inzwischen geworden sein mag. Das wird eine Serie über die SPD, vermutet er. Glücklicherweise nicht! Denn wenn man den Film gesehen hat, klingt der Untertitel »18 Monate unter Genossen« wie eine Seufzer des Teams von Dokumentarfilmer Lutz Hachmeister. »Sozialdemokraten« ist in anderthalb Jahren gedreht und auf anderthalb Stunden geschnitten worden. Ein Jahr Drehzeit hätte bei der Gleichung auch gereicht.

Von der historischen Niederlage der SPD zur Bundestagswahl 2009 an folgte die Kamera den Protagonisten der Partei. Vielleicht würde auch Hachmeister (»Schleyer – eine deutsche Geschichte«) inzwischen Abstand von seinem Vorhaben nehmen, wenn es ginge. Die Ausgangslage mag ihm damals spannend erschienen sein. Wie würde die Partei mit ihrem Absturz umgehen? Würde sie einen personellen Neuanfang wagen? Wie fühlt sich die Krise der Führung hinter den Kulissen an, in den Niederungen der Partei? Wie werden die Menschen reagieren, die Wähler? Inzwischen kennt man das Ergebnis. Die SPD-Spitze hat den Ausweg zwischen den Stühlen gesucht. Im Kompromiss zwischen Verteidigung von Agenda 2010 und neuen Forderungen zur Erhöhung des Regelsatzes von Hartz IV etwa. Und weil sie in Hamburg und Baden-Württemberg in die Regierung gewählt wurde, klingen ihre Parteioberen bereits wie vor 2009. Überzeugt von der eigenen Mission. An der Spitze zu stehen. Als Partei im Land und in der Partei als Person.

Der Zuschauer erleidet das Schicksal jedes Journalisten, der Veranstaltungen der Partei besucht – dieser oder einer anderen. Die Kamera wird bei jeder Regung, bei jeder Äußerung mitgedacht. Herausgekommen sind hölzerne Kommentare und freudlose Mitschnitte von sogenannten Parteiterminen. Bei aller demonstrativen Geschlossenheit schimmert durch, was das Denken der Spitzen bestimmt: erbarmungslose Konkurrenz und hochgezüchtete Fähigkeit zur guten Miene in bösestem Spiel.

Zu einer offenherzigen Äußerung im Film lässt sich Andrea Nahles hinreißen, die Generalsekretärin, als sie nach den Umständen zur Entmachtung von Kurt Beck befragt wird. Dieser war im Jahr vor der desaströsen Bundestagswahl überraschend als Vorsitzender zurückgetreten, zum Kanzlerkandidaten hatten die Putschisten Frank-Walter Steinmeier erklärt. Beck, im Film um Rückblick gebeten: »Das hat keinen Sinn.« Und Nahles, damals Becks Verbündete, verweigert die Aussage, um nicht lügen zu müssen. Fragend in die Kamera: »Der Gabriel hat bestimmt auch gelogen.« Und: »Wenn ich die Wahrheit sage, bin ich verratzt«. Das Wort steht im Schwäbischen für »schäbig«.

Statt dessen übernimmt es immer wieder Wolfgang Clement, der inzwischen die SPD im Streit verlassen hat, seine Wahrheit zu verkünden. Der Wirtschaftsminister der Regierung Schröder lässt kein gutes Haar an der Partei, die er auf dem Wege sieht »ihren Charakter zu verlieren«. Unbarmherzig träufelt er seine Verbitterung in die Szenen, darüber, dass er nicht mehr gelitten ist und dass die Partei sich von der Politik seiner Regierungsjahre abwende, die doch gerade jetzt ihre Erfolge zeige. Auch Gerhard Schröder kommt zu Wort, bedauert die Preisgabe der Agendapolitik, »wenigstens partiell«. Beide zollen Gabriel ihren Respekt – als Polittalent und rhetorische Wunderwaffe. Auf dem Dresdner Krisenparteitag 2009 erlebt man diesen wieder. »Wir müssen raus ins Leben!«, ruft er. »Da, wo es anstrengend ist, da ist das Leben.« Das Leben der Gefilmten ist anstrengend, man sieht es. Aber das Leben derer, für die die SPD angeblich Politik macht, für die es anstrengend ist, wie sie Politik macht, begegnet den Gefilmten in den anderthalb Stunden nicht. Am tiefsten hinunter geht es, wenn Gabriel in einen Kreisverband zum öffentlichen Kartoffelschälen absteigt. SPD-Rituale. Clement träufelt: »Da kommt nichts Neues.« Und man kann ihm nach dem Film nicht widersprechen.

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