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Eine notwendige Erwiderung

Die Erklärung im Wortlaut

  • Lesedauer: 4 Min.
Manchmal sind es die scheinbar kleinen Texte, die ein Fass zum Überlaufen bringen. Und manchmal verbergen sich in solchen Texten auch große Provokationen. Eine solche Provokation hat Oskar Lafontaine unserer Partei mit seinem als Rezension präsentierten Kurzaufsatz zum Thema DIE LINKE und ihr Verhältnis zum Stalinismus als System aufgebürdet.

Eigentlich wollten wir uns auf die Kraft der programmatischen Debatte verlassen und die für den Programmentwurf gefundenen Kompromisse produktiv machen - sie nicht gegeneinander wenden.

Doch wir alle stehen für Offenheit und Glaubwürdigkeit in der Politik. - und deswegen sagen wir in aller Offenheit: die in Oskar Lafontaines Text vertretene Position zum Stalinismus als System wie zum Umgang der LINKEN und ihrer Quellpartei PDS damit sind aus unserer Sicht mit einer demokratischen Linken nicht vereinbar. In der Entwicklung unserer gemeinsamen Partei bis zu Oskar Lafontaines Vorsitz, unter seinem Vorsitz und danach hat es viele Konflikte in grundlegenden Dingen gegeben. Konflikte können produktiv sein und uns voranbringen, in dieser Frage nun trennen uns Welten.

Wir finden, Umkehr ist geboten - nicht aus wahltaktischen, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen.

Erstens hat es für uns rein gar nichts mit intellektueller Redlichkeit zu tun, Strukturelemente einer geschlossenen Gesellschaft, der "Diktatur des Proletariats" samt "führender Rolle der marxistisch-leninistischen Partei" und einer planwirtschaftlich geführten Staatsökonomie, formal auf eine parlamentarische Demokratie und eine fest in die Weltökonomie integrierte Marktwirtschaft, auf eine wettbewerbsorientierte offene Gesellschaft zu übertragen. Der Zweck erscheint uns durchsichtig: Die heutige Realität wird durch die Gleichsetzung mit dem Vergangenen diskreditiert, wer im Heute - verglichen mit dem Vergangenen - historischen Fortschritt erkennt, soll ideologisch abgekanzelt werden. Hier offenbart sich ein rein taktischer, agitatorischer Zugang zu einem Kernproblem des 20. Jahrhunderts und der Geschichte der linken Bewegung und damit ein fehlendes hinreichendes historisches Verständnis.

Zweitens ist für uns unübersehbar, dass mit dem Text wenige Tage nach Vorlage des Programmentwurfs an einer zentralen Stelle der Richtungskampf wieder aufgemacht wurde. Wir lesen erneut eine harte Polemik gegen die sogenannten Reformer und vor allem gegen die Grundsubstanz dessen, was die PDS unter ihrer Führung aus der DDR und dem Scheitern des Realsozialismus gelernt hatte. Genau das wird nun als überflüssig unter den heutigen Bedingungen und bestenfalls zeitgeschichtlich zeitweilig von Belang dargestellt. Damit wird für uns nicht nur die Leistung all derer diskreditiert, die den sehr schmerzhaften Weg gegangen sind, die Geschichte unserer Partei anzunehmen, die historische Fehlentwicklung konsequent zu überwinden. Nein, wir finden das ist Geschichtsrevisionismus.

Dass dies alles - drittens - unter Missbrauch von Namen, Autorität und Lebensleistung von Michael Schumann geschieht, empfinden wir schlichtweg als infam - zumal sich der vor mehr als zehn Jahren tödlich verunglückte programmatische und strategische Kopf der PDS, einer der brandenburgischen Verfassungsväter, nicht mehr selbst dagegen wehren kann. Schumann aber stand auch nie allein für das viel zitierte Grundsatzreferat vom Dezember 1989. Es war von einer politisch und wissenschaftlich hochkarätig besetzten Gruppe erarbeitet und erstritten und auch danach in Geist und Buchstaben hoch gehalten und verteidigt worden; es hatte für eine ganze Partei das Tor zur demokratischen Erneuerung des Sozialismus aufgestoßen.

Der Geist der demokratisch-sozialistischen Basisbewegung und der friedlichen Revolution von 1989 ist in unserer Partei nicht tot und nicht tot zu kriegen. Er lebt in jenen, die mit Michael Schumann 1989 in die Politik gegangen sind, die nicht aufgegeben haben und um die Gestaltung einer demokratischen Linken im vereinten Deutschland gerungen haben - genauso wie unter jenen, die als Jüngere aus Ost und West später den Weg in diese werdende demokratische, moderne Linke gefunden haben.

Dass "Michael Schumanns Definition des »Stalinismus als System« zeigt, dass die Selbstverpflichtung einer kleineren Partei, im parlamentarischen Regierungssystem eine solche Gesellschaftsordnung nicht mehr anzustreben, eher auf Verständnislosigkeit stoßen dürfte" – diese Auffassung von Genossen Lafontaine finden wir in jeder Hinsicht falsch. Eine linke Partei mit der Geschichte wie der unseren, die diese Selbstverpflichtung nicht eingeht, die sie zu umgehen sucht - eine solche Partei stößt nicht nur auf Verständnislosigkeit, sondern auf die verdiente Ablehnung aller, vor allem der linken Demokraten.

Achim Bittrich, Ralf Christoffers, Thomas Falkner, Katja Haese, Kerstin Kaiser, Angelika Klein, Lutz Kupitz, Kurt Libera, Helmuth Markov, Mathis Oberhof
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