Achtung: Aufnahme!

Bei den Salzburger Festspielen triumphiert Christian Thielemann mit der »Frau ohne Schatten«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der eher sanften, die Kultur, die Freiheit und Europa preisenden Eröffnungslyrik von Festredner Joachim Gauck (an Stelle des eigentlich vorgesehenen und dann doch nicht riskierten, scharfzüngigen Schweizer Kapitalismuskritikers Jean Ziegler), dem obligaten, von Christian Stückl ziemlich aufgefrischten »Jedermann« auf dem Domplatz und dem, trotz seiner acht Stunden Dauer, vor allem mit seinem Werkstattcharakter kokettierenden Faust-Marathon von Nicolas Stemann auf der Perner-Insel, haben die Salzburger Festspiele jetzt auch in Sachen Oper »richtig« begonnen. Mit allem Pomp, den Salzburg zu bieten hat: also mit hoher Promi-Dichte im Saal und künstlerischem Spitzenangebot im Graben und auf der Bühne.

Weil Hugo von Hofmannsthal nicht nur als »Jedermann«-Dich- ter, sondern auch als kongenialer Librettist von Richard Strauss zum Gründungspersonal der Festspiele zählt, und beide (neben Mozart) zu den hiesigen Hausgöttern gehören, ist »Die Frau ohne Schatten« im Grunde genau das Richtige – dieses im Ersten Weltkrieg entstandene, 1919 uraufgeführte Opernmonstrum, das märchenhaft verstiegen und verklausuliert um die Kinderlosigkeit zweier Ehepaare und das dunkle Wirken der von der diabolischen Amme beschworenen, ominösen Übermächte kreist.

Musikalisch ist diese Oper eine Hochgebirgswanderung mit Gefahr des Absturzes in Lärmuntiefen oder des Verlaufens in diffusen Rauschnebelbänken. Was diesmal beides nicht passiert! Szenisch lauert, wegen der tückischen Riesenbühne des Großen Festspielhaues, die Gefahr von Breitbandbebilderung und, wegen des Stückes, die Versuchung, vor allem märchenhafte Ausflüge in ein buntes Opernfantasia mit einer Traumland-Kaiserwelt und kräftig eingedunkeltem Färber-Elend zu unternehmen. Doch auch das passierte in Salzburg nicht. Christof Loy Regie), Johannes Leiacker (Ausstattung) und Ursula Renzenbrink (Kostüme) nehmen das Werk so, dass es bei seinen Zuschauern wie seinen Interpreten ein Nachdenken über sich selbst in Gang zu setzen und mitzureißen vermag. Den ersten Überwältigungseffekt können bereits die detailgetreu nachgebauten Sophiensäle für sich verbuchen, die in Wien in den 50er Jahren als Platten-Aufnahmestudio dienten und in denen tatsächlich eine »Frau ohne Schatten« eingespielt wurde. Durch diese Verlegung des Geschehens in das Nachkriegsjahr 1955 und die Konzentration auf das Werk, so wie es gedichtet und komponiert ist, spielen die Nachwirkungen von Krieg und Nazizeit als Subtext mit.

So wie Michaela Schuster die Amme spielt, traut man ihrer taffen Darstellerin durchaus zu, dass sie, trotzig und ungebrochen, ihre Karriere fortsetzt, und nicht daran denkt, ihren Starstatus in Frage stellen zu lassen. Wenn sie während der Aufnahmen versucht, Baraks Frau zu verführen, dann geschieht das durch den Auftritt eines Revuestars, wie ihn die UFA zuhauf produziert hat. Einmal tauchen sogar Menschen mit Koffern vor den Saaltüren auf, bei denen man unweigerlich an Vertriebene oder Flüchtlinge denkt.

Eigentlich geht es aber an den drei Aufnahmetagen, die wir miterleben, um die Beziehungen zwischen dem grundgutmütigen Herrn B. und seiner zu hysterischen Ausbrüchen neigenden Frau sowie um die Annäherung der zunächst ziemlich schüchtern mitmachenden jungen Sängerin der Kaiserin an ihre offenbar etablierten Kollegen und an sich selbst. Sie singen allesamt professionell ihre Rollen, werden aber immer mehr zu den Personen, die sie gestalten – und sich dabei ihrer eigenen, ähnlich gelagerten Probleme bewusst.

Am Ende verwandelt sich die Aufnahmesituation in ein Weihnachtskonzert. Die Sängerknaben sind unterm Weihnachtsbaum vor einem halben Dutzend österreichischer Flaggen aufmarschiert und preisen mit den Solisten gemeinsam die Wunder der Mutterschaft. So wie Loy das übersteigert, macht es die eingeschriebene, belehrend vor sich hergetragene Pointe des Stückes erträglich.

Dafür, dass die szenische Reduktion auf Kammerspielformat im opulenten Saal von einer bebilderten konzertanten Aufführung meilenweit entfernt bleibt, sorgen die exzellente Personenführung Loys und das darstellerische Potenzial der Interpreten. Für Evelyn Herlitzius ist die Partie der Färbersfrau geradezu idealtypisch, so dass sie vom Publikum ganz zu Recht am heftigsten gefeiert wurde! Das boshaft Verstockte, intrigierend Lauernde der Amme wird von Michaela Schuster packend erspielt und ersungen. Höhensicher bewältigt Anne Schwanewilms die Kaiserin, strahlend Stephan Gould den Kaiser, mit charismatischer Güte Wolfgang Koch den Barak.

Musikalisch wurde der Abend unter den gefürchteten akustischen Bedingungen des Großen Festspielhauses aber vor allem dank Christian Thielemann und den Wiener Philharmonikern zum Erfolg. Der als Wagner- und Strauss- Spezialist von seinen Anhängern gefeierte Thielemann hat in seiner Karriere schon öfter für spektakuläre Abgänge gesorgt. Wenn die Musikwelt Glück hat, ist er jetzt angekommen: in Bayreuth als eine Art beratender Chefdirigent der Wagner-Schwestern, demnächst in Dresden als Chef der wie für ihn geschaffenen »Wunderharfe«, der Sächsischen Staatskapelle, und jetzt auch in Salzburg. Hier wird er ja mit den Dresdnern die Berliner Philharmoniker auf deren jahrelangem Opernstammplatz zu Ostern ablösen. Sein fulminantes Operndebüt bei den Festspielen ist dafür das denkbar beste Entree! Diese ausdifferenzierte, zwischen zarten Streicher-Lyrismen und Blech-Auftrumpfen alle Farben zum Leuchten bringende, die Sänger nie überdeckende Lesart der »Frau ohne Schatten« wirft jedenfalls ein erfreuliches Schlaglicht nach vorn.

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