Megatrend und Mummenschanz

Wie »Zukunftsforscher« Horx für die Versicherungswirtschaft trommelt

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.
Erst bange machen und dann die Verängstigten zählen – mit dieser Masche machen Versicherungskonzerne seit Jahren PR gegen die Solidarsysteme. Jetzt hat sogar die dpa die Nase voll.

Wer glaubt, unbedingt wissen zu müssen, was der »Zukunftsforscher« Matthias Horx an gesellschaftlichen »Megatrends« ausgemacht hat, muss normalerweise tief in die Tasche greifen. Einzelexemplare seiner »Studien«, Aufsätze mit ein bisschen Statistik und viel Brimborium, kosten im Internet kaum unter 70 Euro. Da konnten die Presseleute am Donnerstag richtig dankbar sein: In der Berliner Bundespressekonferenz gab es Horx satt – auch noch mit Gratisschnittchen.

Auftraggeber des Mietredners war diesmal das Deutsche Institut für Altersvorsorge, das Flaggschiff der Versicherungs- und Finanzkonzerne in ihrem Krieg gegen die Solidarsysteme. Um »Zukunftstrends in der Altersvorsorge von morgen« sollte es gehen, und wie solche Trends aussehen, hat Horx schon verschiedentlich ausgebreitet: Zuletzt im April, als sein »Zukunftsinstitut« im Auftrag der Heidelberger Lebensversicherung ermittelt hatte, dass sich aufgrund »der längeren Lebenserwartung, der veränderten Einstellung gegenüber dem Alter« und einer »multigrafischen Lebensführung«, die neue Lebensphasen wie die »Postadoleszenz« einführe, »ein neues Verständnis von Absicherung im Alltag« entwickelt habe.

Konkret neu ist an diesem »Verständnis von Absicherung«, dass gerade die jungen Leute vom Staat nicht mehr viel erwarten. Nach der April-Umfrage des Horx-Instituts vertrauen inzwischen nur noch neun Prozent der 18- bis 35-Jährigen in Notlagen auf die sozialen Sicherungssysteme des Staates, aber immerhin schon 15 Prozent auf Versicherungen und Vorsorgeprodukte.

Zweifellos ein »Megatrend«, an dem die Versicherungswirtschaft ein massives Eigeninteresse hat – und an dessen Entstehung diejenigen, die den »Trend« jetzt verkünden, nicht ganz unbeteiligt sind. Seit Jahren trichtert die herrschende Politik Hand in Hand mit der Finanzwirtschaft gerade den jungen Leuten ein, dass die staatliche Rente nicht mehr verlässlich sei, während sie selbst dafür sorgt, dass das auch stimmt: zum Beispiel durch die Förderung nicht ausreichend gesicherter Arbeitsverhältnisse, durch fragwürdige demografisch-volkswirtschaftliche Projektionen, die von Produktivitätsfortschritten absehen, und durch ein entsprechendes Frisieren der Rentenformeln.

Hinterher aber, so funktioniert diese sich selbst bewahrheitende »Zukunftsforschung«, kommen Leute wie Horx, um das erwartbare Resultat dieser Verunsicherung als frisch-authentisches »neues Denken« bei den jungen Leuten von heute zu verkaufen. Dadurch wiederum steigt die Verunsicherung gegenüber der verrechtlichten Solidarität der Kassen weiter, eine ewige Spirale.

Der Mummenschanz ist, wie gesagt, nicht neu – und seit April hatten sich auch nicht die »Megatrends«, sondern nur Horx' Geldgeber verändert. Insofern kann sich die Berichterstattung über den gestrigen Termin auch guten Gewissens auf den schönen Satz beschränken, den die Deutsche Presse-Agentur kurz nach der Veranstaltung übermittelte: »Die angekündigte Meldung zur PK des Deutschen Instituts für Altersvorsorge entfällt. Die Pressekonferenz hatte keinen Nachrichtenwert.«

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