Genosse Glück

Oder: Befreit Josef Ackermann von seinen Millionen!

  • Lesedauer: 6 Min.
Arbeitszeitverkürzung, Umverteilung und Solidarität: linke Ziele lassen sich neu fundieren. Und zwar dank der Glücksforschung und ihrer Messergebnisse. Doch die Linke übt sich in Ignoranz.
In ihrem 2009 erschienen Buch »The Spirit Level« begründen der Gesundheitswissenschaftler und Wirtschaftshistoriker Richard Wilkinson und seine Co-Autorin Kate Pickett, die ebenfalls zum Thema Gesundheit und Krankheit forscht, »warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind«. In der sozialen Ungleichheit machen sie den Hauptverantwortlichen für allerlei gesellschaftliche Probleme aus – von zunehmenden Ängsten in allen Schichten über schädliches Misstrauen, psychische Erkrankungen, Drogenkonsum, einem Absinken des Bildungsniveaus, Rücksichtslosigkeit, Verbrechen und sinkende Lebenserwartung bei wachsender Wirtschaft. Durch mehr soziale Gleichheit könne »Lebensqualität für alle« und ein »besseres Leistungsniveau der Nation« erzielt werden.

Ihre Argumente sind empirisch belegt, sie sind oft erstaunlich plausibel. Und selbst die »FAZ«, nicht unbedingt auf Sturmgeschütz der Egalität, lobt die beiden als, »Datensammler, die in den letzten Jahren die Statistiken der Industriegesellschaften durchforstet haben«.

Kurzum: Wilkinson und Pickett liefern eine Steilvorlage für Linke, insbesondere solche in der Sinnkrise. Der deutsche Titel des Buches klingt kühn: »Gleichheit ist Glück«. Denn das Schlimmste, was Ungleichheit (zumindest in den Industrieländern) generiere, sei weniger ein Mangel an Gebrauchsgütern. Es sei die Kränkung des Ungleichen unter Ungleichen durch niedrigen sozialen Status. Und: »Unter den Bedingungen erhöhter Ungleichheit verschärft sich die Statuskonkurrenz, weil der Status des Einzelnen mehr Bedeutung hat«, schreiben die beiden Autoren. Die Schlussfolgerung ist ein wenig mau: Wilkinson und Pickett gründeten eine Stiftung...

Zufriedenheit ist messbar: Seit Jahren liefert die Glücksforschung Erkenntnisse, die von Teilen der Wirtschaftswissenschaft aufgegriffen werden, um einen neuen Grad an Bodenständigkeit zu gewinnen. Während weite Teile der Linken sie immer noch ignorieren. Das ist teils unverständlich: Untermauern sie doch linke Positionen wie die Forderung nach mehr sozialer Gleichheit, nach Umverteilung des gesellschaftlich erzeugten Reichtums und der dazu notwendigen Arbeit (ja, Arbeitslosigkeit ist der vielleicht übelste Unglücksfaktor, die erste Entlassung ist oft schlimmer als der Verlust eines nahe stehenden Menschen, die meisten knabbern daran ein Leben lang).

Selbst für solidarisches Verhalten an der Grenze zum Altruismus muss nicht erst der »neue Mensch« erzeugt werden: Forschungsergebnisse legen nahe, dass es das eigene Glück steigert, Geld dafür zu investieren, Menschen zu helfen statt (sinnlos) mehr zu konsumieren. »Geld allein macht nicht glücklich – es kommt darauf an, wie man es ausgibt«, resümierte selbst die wirtschaftsliberale »Wirtschaftswoche«.

Teils ist die linke Ignoranz auch nachvollziehbar: Schwächt das neue Wissen doch die Position der immer noch die Vetreibung aus dem fordistisch-keynesianischen Paradies beklagenden Teile der Linken. Doch ergibt es wirklich Sinn, einen Schwerpunkt auf Lohnsteigerung und mehr Konsum zu setzen – und dabei nicht nur erfolgsarm zu sein, sondern auch so vieles außer acht zu lassen?

»Das Versprechen vom Glück durch Wachstum lässt sich nicht dauerhaft erfüllen«, sagt Angelika Zahrnt, Mitglied im Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung. Denn: »Menschen werden nicht glücklicher, wenn sie in jedem Zimmer einen Fernseher stehen haben und fünf Mal im Jahr durch die Welt fliegen.« In den Industrieländern haben wir Zahrnt zu Folge ein enorm hohes materielles Niveau erreicht, individuell wie gesellschaftlich – jedenfalls im Schnitt: »Die Frage ist, wie wir ohne eine weitere Steigerung auskommen«, weil Klima und Umwelt uns Grenzen setzen. Ihre Antwort: Soziale Gleichheit, soziale Kontakte und – last not least: – sozialer Ausgleich. Früher nannte man Letzteres die Umverteilung von oben nach unten.

Zahrnt beruft sich explizit auf die Glücksforschung. Dank ihr wissen wir: Unterhalb eines gewissen Jahreseinkommens steigt mit jeder Penunze mehr das Wohlbefinden, gerade dann natürlich, wenn wenig Geld in der Kasse ist. Doch irgendwann schlägt der Trend um: Mit jeder für den Job zusätzlich verschwendeten Überstunde sinkt nämlich die Zufriedenheit, weil noch weniger Zeit für die schönen und sinnvollen Dinge des Lebens, für Familie, Freundschaften und Hobbies bleibt.

Wilkinson und Pickett zeichnen in »Gleichheit ist Glück« das Bild einer Glückskurve – die das durchschnittliche Zufriedenheit der Einwohner eines Landes visualisiert. Am Anfang der wirtschaftlichen Prosperität einer Volkswirtschaft steigt diese Kurve an. Aber ab einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund 25.000 Dollar stagniert der Glückswert. Weitere Einkommenssteigerungen verlören an Relevanz.

Was stattdessen? »Zufriedenheit erlangen die Menschen weniger mit Dingen als mit Aktivitäten«, fasst »Die Zeit« einschlägigen Ergebnisse der Hirnforschung zusammen. Und der Soziologe Fritz Reheis warnt vor dem »Zeitdiktat der Ökonomie« , das »relativ rücksichtslos über die Bedürfnisse von Menschen hinweggehe«. Er plädiert für eine ökologisch-soziale Zeitpolitik, »die ganz systematisch Eigenzeiten von Menschen, Tieren und Pflanzen schützt«. Er will den »Ausstieg aus dem Hamsterrad« des Immer-mehr-Arbeitens-und-immer-weniger-davon-Habens.

Um es klar zu sagen: . Für Sozialromantik nach dem Motto »Arm, aber glücklich« lässt die Empirie wenig Platz. Menschen in reichen Ländern sind glücklicher als jene in armen. Dass übertriebener Reichtum uns geradewegs in die Arme der Glücksgöttin treiben würde, lässt sich aber auch nicht behaupten.

Nehmen wir als Beispiel Josef Ackermann, den scheiden Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG. Für seinen Sport, das Speerwerfen, bleibt ihm seit Jahren kaum Zeit. Seiner Leidenschaft für die Oper frönt er allenfalls Arien schmetternd unter der Dusche. Und die meisten Menschen, die sein Wohlwollen erregen wollen, tun dies, weil sie den Menschen im Manager schätzen.

Jaja, Ackermann verdient ganz okay: sein Jahreseinkommen liegt meist im zweistelligen Millionenbereich. Doch damit ist er nicht einmal die Nummer Eins in der Bezahl-Hierarchie des eigenen Hauses. Im Internationalen Kollegenkreis wird er für diese Peanuts belächelt. Und er sagt: »Oskar Lafontaine wohnt prunkvoller als ich.« Welch‘ ein Hundeleben!

Gewiss, Ackermann geht bald in den Vorruhestand – und hat dann potenziell mehr Zeit für das Gute, Wahre, Schöne. Doch das hätte er auch anders und früher haben können: dann nämlich, wenn ein fiskalpolitischer Rahmen existieren würde, der Leuten wie Ackermann einen Anreiz böte, weniger zu arbeiten und mehr zu leben.

Diesen Rahmen nenne ich: das gesetzliche Höchsteinkommen. Ab einem bestimmten Punkt (sagen wir: oberhalb des Dreifachen eines Durchschnittseinkommens) muss ein Steuersatz von 100 Prozent gelten – alle Einkommensarten eingeschlossen, und ohne Möglichkeit auf Abschreibungen.

Nicht nur die Ackermanns von morgen würden davon profitieren. Auch den Finanzministern würde das gesetzliche Höchsteinkommen die Freudentränen in die Augen treiben: Bräche es doch mit der Dialektik von privatem Reichtum und öffentlicher Armut. Glück auf!
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