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Plattenbau

  • Lesedauer: 2 Min.

»Single, man nennt dich Single / Du nennst dich Single / Und dein Leben dreht sich im Kreis«. Nicht wahr? Ein originelles Doppelbild hat Andreas Dorau da entworfen. Ein melancholisches Bild. Denn bevor es zum hymnischen Disco-Glam-Refrain kommt, singt der 47-jährige Hamburger, eingestimmt von einem herrlichen »Aaah-aaah-aaah-ah« aus weiblicher Kehle: »Du hast zwar eine schöne Hülle / Doch deine Seele, die ist schwarz / Deine Zahl ist fünfundvierzig / Und du glaubst bereits, das war's.«

Tatsächlich: Die Zeit der 7-Inch-Platte – der Single also – ist vorbei.

Und wie steht's um unsere Midlife-Crisis-Gebeutelten, von denen der Song im Subtext erzählt? Der Tod rückt ihnen langsam auf die Pelle. Zumindest fühlt es sich an schlechten Tagen so an. Vor allem, wenn man allein ist und der Sinnhorizont nurmehr ein zu enger Streifen am Rande des Blickfeldes.

Es ist die hohe Kunst des Texteschreibens, die in Doraus Stück »Single« gleißend hell aufscheint: großes Pop-Handwerk. Eine Kunst, die nicht zuletzt darin besteht, Schwieriges kinderleicht aussehen zu lassen. Subtiler Humor kommt hinzu, der bei Dorau stets einer ist, über den man wie versehentlich stolpert. Dabei ist das alles großem Anspruch abgetrotzt: Nur alle fünf, sechs Jahre würde er ein Album veröffentlichen können, sagt Dorau, da es so lange dauere, bis er genügend Texte beisammen hat. Dann und wann muss deshalb der tolle Berliner Autor Wolfgang Müller aushelfen.

Doraus achtes Studioalbum, auf dem er mit befreundeten Musikern (Mense Reents, Jakobus Siebels, Inga Humpe) einmal mehr refrainstarken Discopop, NDW, Kunstliedpop und House souverän zu verbinden weiß, trägt den programmatischen Titel »Todesmelodien«.

Der Künstler, dem wir den NDW-Überhit »Fred vom Jupiter« (1981) verdanken, hat Film studiert, schreibt Drehbücher und arbeitet als Video-Consultant, u. a. für Xavier Naidoo. Musik ist Doraus zweites Standbein. Musikalischer Erfolg ist natürlich trotzdem eine feine Sache fürs Künstlerego; wenngleich sich dieser Erfolg die letzten Jahre auf gute Musikkritiken im Pop-Feuilleton beschränkte. Dorau ist zwar nicht »out«, aber »in« eben auch nicht. Gerade weil er kein Zeitgeistphänomen ist, kann er vermutlich lange so weitermachen. Zumal mit dieser seltsamen Stimme, die mit zunehmendem Alter immer noch heller und jungenhafter zu werden scheint. Sie singt uns von Unfallgedenkstellen (»Es war hell«) oder vom Pflegeheim (»Ausruhen«).

Die ungewöhnliche Ambivalenz, die sich ergibt aus kindlichem Klang und nachdenklicher Bedeutung ist, nun ja, ziemlich einmalig und wahrlich grandios.

Michael Saager

Andreas Dorau: Todesmelodien (Staatsakt / Rough Trade)

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