Glodernde Lut in leichtem Rosé

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Die Erschöpfung war ihm anzusehen. Nachdem der Kanzlerkandidat seine Rede beendet hatte, schien er benommen von der eigenen Leistung, Anstrengung und Hitze hatten dunkle Flecken auf der Rückseite seines Jacketts hinterlassen. Kein Zweifel, er war gut gewesen! Der Beifall der Delegierten schwoll noch immer an. Langsam wich die Anspannung aus Edmund Stoibers Gesicht. »Und dann kämmte er sich im Scheinwerferlicht auch noch die Haare!« Der Rhetorikspezialist und Redenschreiber Dariush Barsfeld schüttelt den Kopf. Er hat gemeinsam mit zwei weiteren Fachleuten die Ansprachen der Spitzenleute zur Bundestagswahl auf ihren Wahlparteitagen analysiert. Nach streng rhetorischen Gesichtspunkten des »Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache«, ohne Rücksicht auf politische Inhalte. Während das Parteivolk minutenlang den Jubelpegel aufrecht hielt und die Applausometer verrückt spielten, erkundigte sich Stoiber nach einem frischen Hemd. Im Anschluss an eine Rede klingt wissenschaftlich gesehen der motivatorische Schub nach, sofern es einen gab. Auch diese Phase muss man nutzen. Ziellos sei da der Kandidat auf der Bühne umhergeirrt, beobachtete Barsfeld. Verwundert ist er deshalb über das positive Medienecho auf Stoibers Leistung. Barsfeld: Da habe er sich »gerade noch auf dem Sofa halten können«. Er hat eine »stark verbesserungswürdige Leistung« gesehen. Die Redestruktur sei nach drei Vierteln abgebrochen, Stoiber habe seine ins Schrille abgleitende Stimme nur zeitweilig im Griff gehabt. Der Auftritt war kantig, so der Hinweis auf den Wahlkampfslogan, aber nicht echt, sondern unglaubhaft aggressiv. Unglaubhaft aggressiv? Hat er den Kandidaten noch nie in eine Weißwurst beißen sehen? Noch nie gegen die Durchrassung des deutschen Volkes wettern hören? Haben die Delegierten, die Journalisten nicht doch Recht damit, dass Stoiber diesmal gut war? Redenschreiber-Verbandspräsident Thilo von Trotha zuckt die Schultern: Gewiss, diese Rede war besser als alle anderen zuvor. Die Experten selbst mögen an manche Studie nicht glauben. Gemeinhin wird den Begleitumständen einer Rede weit mehr Wirksamkeit eingeräumt, als ihrem Inhalt. Doch eine jüngste Untersuchung lässt alles Mühen um kluges Reden sinnlos erscheinen: 55 Prozent Wirkung werden danach über Körpersprache transportiert, 38 Prozent über die Stimme und nur sieben Prozent sind noch über den Inhalt der Rede zu erzielen. Statik, Latinitas (Sprachrichtigkeit), Spannungsbogen, Struktur der Rede - unverdrossen feilen Redenschreiber am Gerüst, das ihr Protagonist dann ganz allein erklimmen muss. Perspicuitas, das ist es, was rhetorisch zählt, die Deutlichkeit der Sätze. Und Brevitas, ihre Formulierung ohne überflüssige Abschweifungen. Doch Emotionalität, Gestik, Mimik und Kleidung zählen mehr. Note drei minus, damit musste sich der Kanzlerkandidat im Urteil dreier unabhängig urteilender Experten begnügen. Die gleiche Note erhielt PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer. Sie lieferte Barsfeld zu Folge das beste Beispiel, wie man aus einem guten Redeskript einen schlechten Vortrag machen kann. Das verdeckte Lob an Zimmers Redenschreiber geriet schnell in Vergessenheit: »Frau Zimmer hat mit einem verkrampften Auftreten und einer drögen Vortragsweise zu kämpfen. Sie neigt dazu, die Kiefernmuskeln beim Sprechen zu verkrampfen.« Das Knirschen im Parteigebälk ist nahezu schmerzhaft hörbar, wenn die Vorsitzende den Spagat zwischen glaubwürdiger Opposition und glaubwürdiger Regierungsneigung begründet. Doch noch schlechter kam der erste FDP-Kanzlerkandidat weg. Einen Rechenschaftsbericht habe Guido Westerwelle gehalten. Zwar hatte er weniger Versprecher als Stoiber in seinem Vortrag, doch ihm fehlte dessen »gludernde Lot«, äh, seine ludernde Glot. Jedenfalls kennt man nach dieser Rede keinen Grund, warum man sich den Liberalen auch noch als drittes Rad am Kampfwagen im Fernsehduell Schröder-Stoiber ansehen soll. Womit wir auch schon beim Sieger des Rhetorik-Wettstreits sind. Noch vor dem Grünen-Außenminister Fischer, der vor allem durch Light-Show und freie Rede ohne Pult und Manuskript (Gesamtnote zwei) beeindruckte, belegte der amtierende Kanzler mit großem Vorsprung Platz eins. Sehr gut! »Ein Vortrag wie aus dem Lehrbuch«, urteilten die Profis beeindruckt. Ungünstig wirkte sich allerdings ein leichtes Rosé aus. Das aber wird künftig leicht zu eliminieren sein. Es schimmerte allein aus dem Hemd. Uwe Kalbe
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