Pandemrix im Verbrennungsofen

Die meisten Impfstoffe gegen Schweinegrippe müssen vernichtet werden, weil ihr Verfallsdatum abläuft

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Krankheitsfällen in Mexiko macht im Frühjahr 2009 ein neues Virus von sich reden: H1N1. Es verursacht Schweinegrippe und wird binnen Kürze in Israel, Neuseeland, Japan, USA und Deutschland nachgewiesen. Sogar Todesfälle verursacht es. Nur wenig später wird eine Pandemie ausgerufen. Die Welt bunkert Impfstoffvorräte und die Pharmaindustrie freut sich.

Es ist keine drei Wochen her, da konnte man den Nachrichten entnehmen, dass die Bundesländer sich auf die Vernichtung der Impfstoffe gegen die Schweinegrippe vorbereiten. Diese feiern demnächst ihren zweiten Geburtstag und haben damit ihr Verfallsdatum erreicht. Medikamente im Wert von vielen Millionen Euro wandern in den Verbrennungsofen. Rheinland-Pfalz wird wohl zehn Millionen Euro in die Flammen werfen, Sachsen-Anhalt sechs, Thüringen acht, Sachsen vierzehn und Mecklenburg-Vorpommern »nur« vier Millionen Euro, denn hier gelang nach Angaben aus dem Sozialministerium der bundesweit einmalige Fall, 20 000 Dosen Impfstoff über eine Firma ins Ausland zu verkaufen. Nach den immensen Kosten für die Beschaffung des Impfstoffes folgen nunmehr die Kosten für ihre Vernichtung, die momentan noch niemand beziffern kann oder will. Dumm gelaufen oder geschickt eingefädelt?

Kurz nach den ersten Krankheitsfällen im April 2009 schließt Mexikos Regierung alle Schulen. Anfangs ist von mehreren Dutzend Toten durch das H1N1-Virus die Rede, später korrigieren die Behörden die Zahl auf sieben. Nach Erkrankungen in den USA erreicht die Schweinegrippe noch im gleichen Monat Europa. In Spanien und Großbritannien weisen Mediziner das Virus bei drei Mexikoreisenden nach. Neuseeland, Israel und Deutschland folgen mit der Meldung erkrankter Menschen. Im US-Bundesstaat Texas stirbt ein Kleinkind an dem Virus – der erste Todesfall außerhalb Mexikos. Die WHO hebt das Pandemierisiko auf die zweithöchste Stufe 5 an. Weltweit sind 236 Fälle nachgewiesen, mindestens 27 davon in der EU. 13 Menschen sind gestorben. Am 1. Mai verbreitet sich aus Deutschland die Nachricht, das Virus sei erstmals von Mensch zu Mensch übertragen worden.

Als weltweit fast 30 000 Infektionen in 74 Ländern registriert sind, erklärt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11. Juni die Schweinegrippe zur Pandemie und ruft die höchste Alarmstufe sechs aus. Mehr als 140 Patienten sind zu diesem Zeitpunkt gestorben, darunter etwa 100 in Deutschland. Die Ausrufung der Pandemie, also einer sich weltweit ausbreitenden Erkrankungswelle, erscheint vielen Beobachtern als übereilt, zumal kurz vorher eilig die Schwelle dafür herabgesetzt worden war.

Noch im gleichen Monat weist Hersteller GlaxoSmithKline (GSK), Impstoffhauptlieferant für die deutsche Bevölkerung, die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) darauf hin, dass man verbindliche Unterschriften unter den Impfstoffbestellungen wünsche. Die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Christine Lieberknecht, wird von GSK aufgefordert, Bestellungen binnen zwei Tagen zu bestätigen. Die Pharmabranche weiß nur zu gut, dass sich hier ein Spitzengeschäft abzeichnet, oder hat sie es sogar mit vorbereitet?

Wie die unabhängige Zeitschrift »Gute Pillen – schlechte Pillen« berichtet, war an der Ausarbeitung der WHO-Pläne der Präsident der sogenannten »europäischen wissenschaftlichen Arbeitsgruppe Influenza« beteiligt, die vom Grippemittelproduzenten Roche und anderen Herstellern finanziert wird. In ihrem Strategiepapier stünde, was sie vorhat: Politikern zu vermitteln, dass im Hinblick auf Pandemien die Impfstoffforschung gefördert werden muss und Grippemittel einzulagern sind. Die WHO verschweige die Interessenkonflikte der beteiligten Berater.

Im Juli 2010 verabschiedet der Europarat einen Bericht, der sich sehr kritisch mit dem wachsenden Einfluss der Pharma- und Impfstoffindustrie auf öffentliche gesundheitspolitische Entscheidungsträger, insbesondere die WHO, auseinander setzt und Konsequenzen fordert. Im Bericht wird geschätzt, dass durch die von der WHO ausgelöste weltweite Hysterie etwa 40 Milliarden Euro in die Kassen der Impfstoffhersteller geflossen sind, obwohl es sich bei der Schweinegrippe um eine besonders milde Form einer jährlichen Influenza handelte. Von März 2009 bis Oktober 2010 wurden weltweit ca. 18 000 Schweinegrippetote registriert. Bis zu 15 000 Tote fordet die jährliche »normale« Grippe allein in Deutschland.

Bisher erschienen:
Ausnahmen bestätigen die Regel – Fünf Jahre Rechtschreibreform, Arme kleine rauchfreie Kneipe – Vor einem Jahr trat das strikte Rauchverbot in Bayern in Kraft, Schmerzhafter Klinikverkauf – Hamburg privatisierte seine stadteigenen Krankenhäuser: eine bis heute teure Angelegenheit und Toll Collect – Wer zahlt für die vergeigte LKW-Maut?

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