Schlag nach bei Wotan!

Ein »Wagner Wiedergänger« als Kapitalismuskritik in der Neuköllner Oper

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Früher oder später kriegt der Kapitalismus sie (fast) alle – auch die zwischenzeitlichen Profiteure.
Früher oder später kriegt der Kapitalismus sie (fast) alle – auch die zwischenzeitlichen Profiteure.

Düstere Aussichten. Geld regiert die Welt und treibt sie ins Verderben. Die Neuköllner Oper erinnert an Richard Wagners Parabel über Gier, Vertrag und Verrat von 1876. So entstand »Rheingold Feuerland. Ein Wagner Wiedergänger«, geschrieben von Bernhard Glocksin (Text) und Simon Stockhausen (Komposition/elektronische Musik), inszeniert von Lilli Hannah Hoepner. Ein mutiges Projekt.

Glocksin erklärt, dass es ihn schaudert bei so viel Pessimismus. Aber er wollte und musste durch. Ebenso wie sich Stockhausen darüber klar war, hier nicht ein großes Orchester nachahmen zu können. So bearbeitete er das Wagnerische, das ihm zeitlos erschien. Es kommt also kaum darauf an, den Komponisten Wagner in dieser musikalischen Gespenstererscheinung so wiederzufinden, wie man ihn kennt. Stockhausen verschärft Dissonanzen, nutzt Soli von Blasinstrumenten, setzt Percussion-Instrumente ein und schuf die musikalische Grundlage für Sprechgesang. Man soll den Inhalt der Gesangspartien verstehen können, war sein Anliegen.

Bei der Uraufführung unter musikalischer Leitung von Lam Tran Dinh und Tobias Bartholmeß erfüllte sich das nicht unbedingt. Elektronischer Musik muss man in jedem Fall Mikrofone entgegensetzen. Hier mit akustischem Verlust zu arbeiten ist unverzeihlich, denn die Gesangspartien sind gut erdacht und gemacht.

Die aktuelle Handlung, die auf »Feuerland«, der brennenden Müllhalde bei Neapel, beginnt, widmet sich unterschiedlichen Lebenszielen. Auf der Halde lebt die schwarze Immigrantin Erda (Dennenesch Zoudé) und streitet sich mit dem 14-jährigen Roma-Jungen Christo (Janko Danailow), der sich beim Arbeiten im Giftmüll sein Geld verdient. Sie hat keine Illusionen mehr. Dass er an den Folgen sterben könnte – was 15 Jahre später geschieht – will er nicht glauben. Längst hat er sich da mit seinen Kontakten nach Rumänien bei der Mafia eingekauft und steht finanziell dicke da. Er besitzt nun den Ring, nach dem er strebte. Dass er sich nun alles kaufen kann, nutzt ihm nichts mehr.

Dingen auf den Grund zu gehen, treibt die bolivianische Journalistin Mercedes (Andrea Sanchez del Solar) voran. Sie interviewt den erfolgreichen Finanzmenschen George Warren (Thorsten Loeb) in New York und konfrontiert ihn mit den Ereignissen beim Wasserkrieg in Bolivien, der im Jahr 2000 begann. Er will nichts davon wissen, gibt sich knochenhart. Geld zu machen ohne Rücksicht auf Verluste, sei der Lauf der Dinge, meint er: »Schlag nach bei Wotan!« Alles andere sei Sache der Politik, behauptet er wider besseres Wissen. Darauf lässt sich Mercedes nicht ein. Immer wieder kommt sie auf Bolivien zurück. Darauf, dass Privatisierung von Wasser gegen das Menschenrecht verstößt.

Irgendwann hat sie den Finanzmagnaten weichgeklopft. Da meint er, sie solle das Reportergerät mal ausschalten. Er wolle ihr erzählen, wer er wirklich ist und dass er anfangs ganz andere Ziele hatte. Eine Szene, die jeden Journalisten grienen lässt. Und obwohl es dann so scheint, als würde sich Mercedes von dem Geschäftsmann einwickeln lassen, verfolgt sie ihre Ziele weiter.

Bleibt noch der Anpasser, der Wissenschaftler, der aus der Gier seinen Nutzen zieht und letztlich für nichts verantwortlich ist. Božidar Kocevski spielt diesen indischen Dr. Anashnapuram ebenso wie kurz die Tempeltänzerin in Bombay, die dort benutzt und beschmutzt wird.

Die Kapitalismuskritik ist deutlich. Auf gedankliche Ansätze zum Weitergrübeln wird verzichtet. Mit »Rheingold« soll sich Diskussion zum globalen Handel entwickeln in einer Veranstaltungsreihe zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ein bisschen simpel liest sich »Kochen – Shoppen – Spekulieren. Der ›gute‹ und der ›böse‹ Kapitalismus – wie wir mitmachen und war wir ändern können.« Aber so ist das mit Dingen, die vertraut sind und denen man verfallen kann. Nicht nur die Liebe geht durch den Magen.

Bis 11.9., 20 Uhr. Veranstaltungsreihe am 27.8., 4.9. und 11.9., 16.30 Uhr, verbunden mit dem Besuch der Aufführung. Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131, Neukölln, Tel.: (030) 68 89 07 77

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