Nie mehr Abgeordnetenhaus!

Die Kulturpolitikerin Alice Ströver zieht sich aus dem Parlament zurück

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Alice Ströver
Alice Ströver

Wer ein Kämpferherz hat, lässt das Kämpfen nicht. Auch bei der letzten Sitzung des Kulturausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, die Alice Ströver am Montag als dessen Vorsitzende leitete, las sie den Regierenden die Leviten. »Berlin überlässt dem Bund Gestaltungshoheit und setzt zu wenig eigene kulturpolitische Akzente«, beklagte sie. Sie forderte die Kulturpolitiker dazu auf, auch als Stadtplaner aktiv zu werden, um »das Unorthodoxe zu verteidigen«. Sie kritisierte »die Besorgnis erregende soziale Lage vieler Künstlerinnen und Künstler in der Stadt«.

Als Vermächtnis gab die nicht mehr zu den Abgeordnetenhauswahlen antretende Kultursprecherin der Grünen, die seit 23 Jahren dieses Feld meist von der Oppositionsbank und ein halbes Jahr als Kulturstaatssekretärin beackert hatte, ihren aktiv bleibenden Kollegen auf: »Die Abgeordneten müssen selbstbewusster werden. Sie sind es, die die Regierung kontrollieren. Sie dürfen sich nicht zu deren Erfüllungsgehilfen machen.« Ströver weiß, wovon sie spricht. Und sie weiß, wovor man sich in Zukunft fürchten sollte: einem zähen Konsens-Sumpf, in dem die Reden über die Bedeutung der Kultur ein Stagnieren der weiteren Entwicklung von deren Infrastruktur übertünchen.

Sachkenntnis billigen der energischen, wie ein Kugelblitz durch die Berliner Kultur fegenden Person alle zu, vom Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit (SPD) über dessen Kulturstaatssekretär André Schmitz und den Kollegen und Konkurrenten von den anderen Parteien im Abgeordnetenhaus bis zu den Künstlern. Doch unterschiedlich fällt die Bewertung der Art ihres Engagements aus. Während vor allem freie Künstler Strövers Einsatz für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen hoch schätzen, merkt Wowereit, mit dem Ströver mehr als einen Kampf ausfocht, gegenüber ND kritisch an, sie habe mit »einer zu persönlichen Note argumentiert«. Wolfgang Brauer, kulturpolitischer Sprecher der LINKEN, schätzt wiederum gerade die Kontroversen, die von Ströver ausgingen. »Ich mag es, wenn jemand klar Position bezieht. Es war nicht einfach mit ihr, aber es hat Spaß gemacht«, sagt er.

Dass für Ströver der Spaßfaktor im Kulturausschuss eher eingeschränkt war, merkt man dem gelösten Lachen an, mit dem sie die Blumen ihrer Kollegen und der Kulturverwaltung entgegennimmt. Die letzte Ausschusssitzung demonstrierte noch einmal das ganze Verzweiflungspotenzial. Strövers Fraktion reichte den Entwurf für ein Bibliotheksgesetz ein, mit dem Mindeststandards für die Berliner Bibliotheken festgelegt und deren Finanzierung festgeschrieben werden sollte. Der Antrag wurde abgelehnt, obwohl die SPD ein Bibliotheksgesetz im Wahlprogramm hat und einige Bausteine des Gesetzentwurfes noch aus Expertenrunden unter der Ägide des damaligen Kultursenators Thomas Flierl (LINKE) stammen.

»Dieses Prozedere ist so typisch«, stöhnte Ströver und erklärte: »Die Botschaft lautet: Inhaltlich sehen wir das ähnlich. Aber weil der Antrag von euch kommt, müssen wir das leider ablehnen.« Immerhin weckte der Streit ums Bibliotheksgesetz den Regierenden Bürgermeister, der bis dato der Ausschusssitzung des von ihm mitverantworteten Kulturressorts mit der Miene eines gelangweilten Krokodils gefolgt war, für einen Moment auf. Wowereit wehrte sich gegen die Festschreibung von Mindeststandards, weil dadurch der Handlungsspielraum eines Politikers rapide eingeschränkt werde. Dieser Einwurf ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig wurde aber das große Vertrauensdilemma zwischen denen, die regieren, und denen, die der Regierung die Aufträge erteilen, deutlich: Wer befürchtet, dass Mindeststandards durch politisches Handeln permanent unterschritten werden, will eben enge Grenzen setzen.

Klaus Wowereit schien jedenfalls recht erleichtert, dass er sich in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr mit Ströver auseinanderzusetzen hat. Er wünschte ihr gegenüber ND »eine schöne Freizeit in Frohnau«. Den Gefallen eines totalen Rückzugs ins Einfamilienhäuschen in Nordberlin will Ströver Wowereit jedoch nicht tun. »Es bleibt gerade in der freien, nicht-institutionalisierten Kultur viel zu tun«, versichert sie und freut sich auf Beratertätigkeiten in diesem Bereich. Hier sieht auch Kulturstaatssekretär André Schmitz »eine Baustelle für die nächste Legislaturperiode«. Auf in den Kampf also.

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