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»Alte Feinde, neue Kameraden«

Ausstellung in Berlin-Gatow: Wie das militärische Flugwesen von Ost und West vereinigt wurde

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Luftwaffen-Museum in Berlin-Gatow wird neu konzipiert. Die »thematische Ausrichtung am Menschen, der Gewalt aus der Luft ausübt und erleidet«, stehe im Mittelpunkt, sagt Kurator Hauptmann Jan Peter Behrendt.
Ost-West-Militärtechnik in Berlin-Gatow
Ost-West-Militärtechnik in Berlin-Gatow

Zum Hangar 3 gelangt man durch eine waffenstrotzende Gasse. Eine auf den Boden aufgetragene »Linie des Konfliktes« – offenkundig Symbol für die Konfrontation im Kalten Krieg – führt hinauf zur oberen Etage in eine bedrohliche Finsternis. Schwärzliche Mauerteile, dazwischen Demonstranten. Nicht militärische Gewalt, sondern die Kraft der Menschen auf der Straße habe die Blockkonfrontation durchbrochen, heißt es. Der (Kalte-)Kriegs-Pfad löst sich auf, es wird – dem Himmel sei Dank – wieder hell: Die Armee der Einheit, »die sich in Frieden zusammengefunden« hat, stellt sich vor – auf 250 Quadratmetern Museum werden aus »vielen der alten Feinde neue Kameraden«. Der geneigte Besucher befindet sich im Luftwaffenmuseum der Bundeswehr Berlin-Gatow, namentlich in der Sonderausstellung »Ende / Neuanfang – die deutschen Luftstreitkräfte in der Wiedervereinigung«. Der Ort macht Sinn. Auf diesem einst britischen Militärflugplatz wurden Truppen und Technik der DDR-Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV) zusammengezogen, zu einer Division zusammengefasst, Technik analysiert, verscherbelt, verschenkt, vernichtet oder zu Museumsstücken umgewandelt, Soldaten entlassen oder in die Bundeswehr eingegliedert.

Das Museum – bisher eher eine Technikschau – wolle mehr als bisher Lern- und Diskussionsort werden, sagt Hauptmann Behrendt. Man lernt zunächst, dass es sich um die Wiedervereinigung der beiden deutschen Luftwaffen handele, was freilich extrem diskussionswürdig sein dürfte. Denn die Bundeswehr hat sich nie als Abspaltung der Nationalen Volksarmee verstanden. Auch die Umkehrung dürfte jedermann für absurd halten. Dies wohl hätte ein Wiederzusammenfügen vorausgesetzt.

Den Rundgang begleiten zwei sogenannte Erzähler, die jeweils auf der einen und auf der anderen Seite gedient haben. Sie plaudern von Bildschirmen her über Militärstrategie, Feindbilder, Hintergründe, Motive. Generalleutnant Axel-Björn Kleppien, damals im Bonner Ministerium für Verteidigung, kam in den Osten und führte 2000 Interviews mit Bewerbern für das militärische Flugwesen West. »Wie rot sind die nun eigentlich?«, fragte er sich dabei. Und kam zu dem feindbildaufweichenden Schluss: Die waren alle nicht vom Kommunismus durchtränkt. »Die waren allenfalls mit roter Soße übergossen, die man leicht und locker wieder abwaschen konnte.«

Koerzähler Siegfried Wünsche, einst NVA-Oberst, Absolvent der sowjetischen Generalstabsakademie, half als Berater bis Dezember 1990, die LSK/LV abzuwickeln. Hernach schrieb er 50 Bewerbungen, durfte Versicherungen anpreisen, verkaufte Wein, wurde Geschäftsführer eines Wachdienstes. Ein Gutteil der entlassenen NVA-Offiziere hat allerdings nie wieder einen auch nur halbwegs angemessenen Job gefunden. Oberst Wünsche über die Versuche einer Militärreform zu Endzeiten der DDR: »Immer wieder wurde Neues in Brocken festgelegt, und wir mussten uns damit auseinandersetzen. Ich war der Meinung, wenn die DDR reformierbar ist, dann ist auch das Militär in der Lage, sich zu reformieren.«

»Unter«-Erzähler wiederum äußern sich derweil zu vielen Details. In Briefen artikulieren Soldaten ihre Forderungen – mehr Distanz zur SED, mehr Urlaub, Fünf-Tage-Woche, Bildung von Soldatenräten, Abberufung unfähiger Kader, Verkürzung des Wehrdienstes, Einführung des Zivildienstes.

Ist nun »das Zusammenwachsen von Ost und West in der Bundeswehr«, wie es in der Ausstellung heißt, als Erfolgsstory zu bezeichnen? Auch darauf gibt es zwischen Petschaften, Tagebüchern, Zeitungsausschnitten, Broschüren, Geräten und Personalverfügungen differenzierte Antworten. Am schnellsten verstand man sich wohl unter Militärapothekern. Blutdrucktabletten und Verbandszeug unterscheiden ja seit jeher nicht Freund und Feind. Generalleutnant Kleppien meint, es habe keine Verschmelzung der Truppen gegeben, es sei auch eher um das Aneinanderrücken von Menschen gegangen. Und das sei sehr gut gelungen. Oberst Wünsche denkt, wenn man 90 Prozent Bundeswehr und zehn Prozent NVA zusammenführe, dann könne man von einer Armee der Einheit schlecht sprechen. Und der damalige End-DDR-Staatssekretär für Abrüstung und Verteidigung Werner Ablaß sagt: »Einheit klingt immer so nach einem Brei, deshalb spreche ich lieber von Armee der Vielfalt.«

»Ende / Neuanfang« – Sonderausstellung, Am Flugplatz Gatow, 14089 Berlin, bis 1. April 2012, Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei.

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