Wohnen in der »Elsa«

In Mainz steht das wohl größte Hochhaus von Rheinland-Pfalz

  • Julia Kilian, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Wohnen im Hochhaus ist für manche ein Horror. Im wohl größten Hochhausdorf in Rheinland-Pfalz leben geschätzt 1500 bis 1800 Menschen. Und entgegen der Klischees lieben manche ihre »Elsa«.

Mainz. Zwei verschwitzte Jungs schieben Umzugskisten über den Flur des elften Stocks. Der blumige Parfumduft einer Frau schwebt durch den Aufzug, in der Spiegelfront zupft sich ein sonnengebräunter Typ die Wollmütze zurecht. »Hier wohnen alle Leute, alle Schichten. Vom Penner bis zum Professor«, sagt Hausmeister Christoph Niklas. Sein Reich ist das Hochhausdorf in der Mainzer Elsa-Brändström-Straße 4 bis 10, die »Elsa«. Hinter den Fronten aus Waschbeton und pastellfarbenem Anstrich verbergen sich 610 Wohnungen. Der Komplex ist die wohl größte, zusammenhängende Hochhausanlage in Rheinland-Pfalz.

Was für einige Leute ein hässlicher Betonklotz bleibt, ist für andere wohliges Zuhause. Satellitenschüsseln kleben am Hochhaus, ein ausgeblichener Sonnenschirm hängt schief auf einem Balkon, aus einer Wohnung wummern Techno-Bässe. »Ich hab' mir das nie vorstellen können, in so einem Hochhaus zu wohnen«, erzählt eine 32-Jährige, über der 23 Stockwerke in die Luft ragen. »Aber ich muss ehrlich sagen: Das ist wirklich eigentlich ganz toll. Ich will hier nicht mehr weg.« Ist es Zeit zum Aufräumen mit einem Klischee?

Eigentlich stehen in Rheinland-Pfalz eher kleine Häuschen. Von landesweit rund 1,13 Millionen Wohngebäuden sind etwa 70 Prozent Einfamilienhäuser. Nur jedes zehnte Gebäude beherbergt drei oder mehr Familien – das geht aus Zahlen des Statistischen Landesamts für 2009 hervor. Die »Elsa« ist wahrscheinlich die größte Hochhausanlage im Land – in Mainz, Koblenz, Ludwigshafen und Trier zumindest gibt es nach Angaben von Sprechern keine größere. In der »Elsa« leben nach Schätzungen der Hausverwaltung etwa 1500 bis 1800 Menschen. So genau weiß das niemand, weil alle Wohnungen Eigentum sind.

In einem Hochhausdorf gibt es auch Probleme, klar. »Wissen Sie, was wir immer sagen? Wenn man 610 Häuser in eine Reihe stellt, dann passiert auch einiges«, meint Anneliese Burland von der VAW Hausverwaltung. Die Firma managt den Komplex von den Kamera überwachten Eingängen bis zu den Wohnungstüren. Die Hilfe gilt auch für Notfälle. »Wenn zum Beispiel nachts ein älterer Mann die Toilettentür mit der Wohnungstür vertauscht, steht der in Unterhose im Flur. Dann lässt man den ja nicht stehen, sondern schließt dem die Wohnung auf.«

Notarzt oder Rohrbruch? Bei Notfällen ist auch Hausmeister Niklas zur Stelle. »Rund um die Uhr.« Seit 26 Jahren arbeitet er in der »Elsa«. »Wir könnten schon Bücher schreiben«, sagt er. Und was bei anderen Menschen abgedroschen klingt, ist bei dem 64-Jährigen wahr. Niklas erzählt von Brandtoten, die erst nach Tagen entdeckt wurden. Von einem Messie, der in seiner vollgestapelten Wohnung knapp unter der Decke schlafen musste. Und schöne Geschichten – von aufwachsenden Kindern etwa.

Niklas steht mit seinem Kollegen im 19. Stock auf einem Balkon, blickt über Felder, Wiesen und den Mainzer Dom. »Ich könnte da stundenlang stehen. Das ist einmalig«, sagt er. Leute, die im Hochhaus unten wohnen wollen, kann er nicht verstehen. »Wenn Hochhaus, dann hoch, ne?« Manche Wohnungen bieten einen Traumblick. Seine Dienstwohnung muss er verlassen, wenn er bald in Rente geht. Aber andernorts wohnen – das will er nicht. »Ich lass' die Elsa nicht im Stich. Irgendwie ist es meine Elsa.«

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