Eiskalte Versuchung
Gewaltige Rohstoffvorkommen in der Arktis wecken Begehrlichkeiten der Anrainer und ihrer Konzerne
Die Arktis mit ihren enormen Vorkommen an Rohstoffen sorgt für Spannungen zwischen den Anrainerstaaten Russland, Kanada, Dänemark (via Grönland), Norwegen und den USA. Während Dänemark und Norwegen nicht über die Machtmittel verfügen, um ihre Ansprüche ernsthaft zu verteidigen, scheinen die Gegensätze zwischen den USA, Kanada und Russland durchaus geeignet zu sein, im Ernstfall sogar einen militärischen Konflikt auszulösen. Geschätzte 90 Milliarden Barrel an Erdöl und 500 Billionen Kubikmeter Erdgas warten auf den, der seine Interessen durchzusetzen vermag.
Seit Jahrhunderten versuchten verschiedene Nationen, den Nordpol in Besitz zu nehmen. Aber erst in den letzten 200 Jahren waren die Voraussetzungen gegeben, um Träume von der Beherrschung der Arktis wahr werden zu lassen.
Das zaristische Russland und Großbritannien übernahmen die Initiative, als sie Sektoren innerhalb der Arktis definierten und sie für sich in Besitz nahmen. Die Britisch-Russische Konvention von 1825 legte die Grenzen zwischen den britischen Besitztümern in Kanada und den russischen Provinzen in Alaska fest. Diese Grenze orientierte sich geografisch am 141. Meridian (Längenkreis).
1867 erwarben die USA Alaska vom Kreml, womit ein weiterer Konkurrent in der Arktis auftauchte. Als weitere Staaten Gebietsansprüche geltend machten, wurde es unvermeidbar, eine Basis für entsprechende Territorialforderungen zu schaffen. Auf der Berliner Kongo-Konferenz im Jahre 1884 wurde der Grundsatz festgeschrieben, dass das Recht auf Erwerb einer Kolonie nur der haben sollte, der sie tatsächlich in Besitz genommen hat (Prinzip der Effektivität).
Wie weit reicht der Festlandssockel?
Zwei Weltkriege lenkten die Aufmerksamkeit der Welt vorübergehend auf andere Regionen, so dass erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder Spannungen um die Kontrolle der Arktis entstanden. Nun standen sich zwei Anrainerstaaten der Polarregion als verfeindete Supermächte gegenüber – die USA und die Sowjetunion, getrennt durch die Beringsee. Die geografische Nähe der jeweils anderen Großmacht bedeutete eine ernsthafte strategische Bedrohung. Um einem von beiden Seiten gefürchteten atomaren Erstschlag zu begegnen, wurden radargestützte Frühwarnsysteme entlang der Grenze installiert.
Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion war Russland bis Ende der 90er Jahre mit innenpolitischen Problemen beschäftigt. Mit der Amtsübernahme Präsident Wladimir Putins im Jahr 2000 begann die außenpolitische Konsolidierung Russlands. Dieses Erstarken führte auch zur Erneuerung russischer Ansprüche auf arktische Gebiete.
Russland begründet diese Ansprüche auf die Reichtümer des Nordpols völkerrechtlich mit der im Jahr 1982 verabschiedeten UN-Seerechtskonvention. Laut diesem von mehr als 150 Staaten ratifizierten Abkommen können die Staaten vor ihrer Küste eine Wirtschaftszone beanspruchen, die bis zu 200 Seemeilen (370 Kilometer) breit ist. In diesem Gebiet bestimmt der jeweilige Staat auch über die Ausbeutung von Rohstoffen im Meeresboden. Diese Zone kann erweitert werden, wenn der Kontinentschelf über die 200-Seemeilen-Grenze ins Meer ragt. Russische Geologen bemühen sich daher zu beweisen, dass der Lomonossow- und der Mendelejew-Rücken – unter Wasser gelegene Gebirgszüge – Ausläufer des Eurasischen Kontinents sind. Allerdings suchen auch dänische Wissenschaftler nach einer Verbindung zur grönländischen Landmasse. Wenn sie eine solche finden, könnte auch Dänemark Anspruch auf den Lomonossow-Rücken erheben.
Die Rechtmäßigkeit derart begründeter Gebietsansprüche prüft die Sockelkommission der Vereinten Nationen in New York. Sie kann aber nur über die Ausweitung der Wirtschaftszone in internationales Gewässer entscheiden. Für Grenzstreitigkeiten zwischen Nachbarstaaten ist die Kommission nicht zuständig. Diese Zwistigkeiten müssen zwischen den beteiligten Nationen selbst behandelt werden.
Bereits im Jahr 2001 hatte Russland versucht, seine Ansprüche auf die Rohstoffvorkommen am Nordpol vor den Vereinten Nationen durchzusetzen. Der Versuch scheiterte aber am Mangel an Beweisen. Noch in diesem Jahr sollen geologische Forschungen abgeschlossen sein, die die russischen Ansprüche belegen. Für den Fall eines neuerlichen Fehlschlags seiner Bemühungen hat Moskau bereits mit dem Austritt aus der UN-Seerechtskonvention gedroht.
Nach Expertenmeinung ist ein Scheitern der russischen Forderungen aber nicht zu erwarten, da Russlands neue Proben erheblich überzeugender sind als die 2001 präsentierten.
Die Flagge im Boden unterm Nordpol
Die USA dagegen können juristisch derzeit keine Polargebiete beanspruchen, da sie die 1982 geschlossene UN-Seerechtskonvention nicht unterzeichnet haben. Dennoch bereitet Washington eine Territorialforderung vor. Die Regierung Obama beabsichtigt in diesem Kontext einen Beitritt zur UN-Seerechtskonvention. Allerdings wird es nicht so einfach sein, dieses Vorhaben im Kongress durchzusetzen. Dort haben die Republikaner eine Mehrheit und verzögern ihre Zustimmung. Die konservativen Abgeordneten argumentieren, der Beitritt zu dem Abkommen habe zur Folge, dass die USA Souveränitätsrechte an internationale Institutionen wie die UNO übertragen, was sich zum Nachteil für die Vereinigten Staaten auswirken werde.
Die Entschlossenheit beider Nationen, ihre Interessen in der Arktis wahrzunehmen, wird sowohl durch symbolische Akte als auch durch militärische Manöver unterstrichen. Russische Forscher, die mit zwei Miniunterseebooten den Boden am Nordpol untersuchten, setzten dort, 4300 Meter unter der Meeresoberfläche, im August 2007 eine russische Flagge ab. Auch die 20-Stunden-Patrouillenflüge russischer Langstreckenbomber und die Wiederaufstellung von Marineverbänden in der Arktis demonstrieren die Entschiedenheit, mit der die russischen Führung ihre Ansprüche vertritt.
Im Juni 2008 hatte Russlands Militär mit der Ausarbeitung möglicher Kriegspläne für die Arktis begonnen. Im März 2010 bekräftigte Präsident Dmitri Medwedjew, sein Land wolle seinen Anspruch auf die Rohstoffvorkommen in der Arktis verteidigen. Andere Staaten hätten »aktive Schritte unternommen«, um ihre wirtschaftliche und militärische Präsenz in der Region zu verstärken. Außerdem gebe es bereits Versuche, den Zugang Russlands einzuschränken. Das sei angesichts der geografischen Lage seines Landes unfair und aus juristischer Sicht »absolut unzulässig«.
Auch die USA zeigen sich entschlossen, ihre Ansprüche zu verteidigen. US-Seestreitkräfte haben beispielsweise im Juni 2009 eine große Militärübung unter Beteiligung von Flugzeugträgern in der Arktis abgehalten. Das Operationsgebiet grenzte an russische Hoheitsgewässer.
Doch nicht nur zwischen den USA und Russland bestehen Interessenkonflikte. Auch Kanada verfolgt Ziele, die mit denen der USA nicht kompatibel sind.
Mit zunehmender Erderwärmung taut das Eis an den Polen. Im Jahr 2007 war die Nordwestpassage, die etwa 5780 Kilometer lange Seestraße, die nördlich des amerikanischen Kontinents den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet, erstmalig eisfrei. Klimaforscher vermuten, dass ab 2013 eisfreie Sommer zu erwarten sind. Dadurch entstünde eine Schiffsroute, die den Weg zwischen Europa nach Asien erheblich verkürzt. Während die Route durch den Suezkanal gut 21 000 Kilometer und die durch den Panamakanal gar 23 000 Kilometer lang ist, wären es durch die Nordwestpassage nur noch 16 000 Kilometer. Ein weiterer Vorteil der Nordwestpassage ist, dass Regionen gemieden werden, die von Piraterie bedroht sind, etwa die Gewässer rund um Indonesien.
Streit um die Nordwestpassage
Die territoriale Zugehörigkeit des Seeweges ist jedoch zwischen Kanada und den USA umstritten. Bereits 1973 erklärte Kanada die Nordwestpassage zur nationalen Wasserstraße. Seither ist sie ein Symbol der nationalen Souveränität des Landes. Die USA sind aber nicht bereit, die Ansprüche des nördlichen Nachbarn zu akzeptieren. Am 25. Januar 2006 erklärte der US-Botschafter in Kanada, David Wilkins, an der Universität von Western Ontario, die USA würden Kanadas Ansprüche auf die Wasserstraße nicht anerkennen. Sie betrachten die Nordwestpassage als internationale Wasserstraße, die allen Nationen offen steht. Also könne auch das US-Militär frei innerhalb dieser Zone operieren, ohne sich um die kanadische Erlaubnis bemühen zu müssen.
Josh Hunter, verantwortlich für Kanadas am nördlichsten gelegene Gemeinde Inuvik, bemerkte dagegen für den Fall einer unautorisierten Passage: »Falls die Amerikaner versuchen sollten, unangemeldet durchzukommen, werden wir auf unseren Schneemobilen draußen sein und ihnen den Weg blockieren.« Kanadas konservativer Premierminister Stephen Harper befahl den Bau von sechs bis acht eisbrechenden atomgetriebenen Patrouillenschiffen. Sie sollen garantieren, dass sich jedes Schiff, das die Nordwestpassage befährt, vorher bei der kanadischen Küstenwache registriert. Des weiteren hat Ottawa Soldaten im Norden stationiert und ein System zur Kontrolle der Bewegungen von U-Booten installiert.
Kanada hat gute Gründe, seine Ansprüche auf die Nordwestpassage so entschieden zu verteidigen. Wenn das Land die Wasserstraße kontrolliert, könnte es nämlich Gebühren für die Passage erheben, ähnlich wie Ägypten am Suezkanal. Die USA und andere Staaten haben naturgemäß kein Interesse daran.
Es ist nicht zu erwarten, dass eine der drei Mächte ihren Rivalen freie Hand in der Arktis lässt. Zu viel steht auf dem Spiel. Laut Schätzungen der Geologischen Behörde der USA (USGS) befinden sich 22 Prozent der global verfügbaren Energievorkommen dort. 90 Milliarden Barrel Erdöl beispielsweise würden ausreichen, den gesamten globalen Ölbedarf für drei Jahre zu befriedigen.
Krisenherd der Zukunft?
Die Erderwärmung lässt die Erschließung dieser gewaltigen Öl- und Gasvorkommen durch das Schmelzen des Eises leichter werden. Hohe Ölpreise und die wachsende politische Instabilität in den rohstoffreichen Gebieten des Mittleren Ostens, Zentralasiens und Lateinamerikas sind zusätzliche Faktoren, die die Attraktivität der Ressourcen des Nordpols befördern. Diese Entwicklung beschert der Welt einen neuen Krisenherd.
Die militärischen Machtdemonstrationen zusammen mit politischen Erklärungen der Protagonisten veranschaulichen die Brisanz der Situation am Nordpol. Es bleibt zu hoffen, dass Vernunft und Konzessionsbereitschaft die Regierungen veranlassen, politischen Kompromissen bei der Aufteilung der Arktis zuzustimmen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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