Sozialer Spross der Samurai

Das Kino Arsenal präsentiert alle dreißig Filme des japanischen Meisterregisseurs Akira Kurosawa

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.
Szene aus »Die sieben Samurai«
Szene aus »Die sieben Samurai«

Eine vollständige Retrospektive des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa im Arsenal bietet die seltene Gelegenheit, nicht nur die großen Samurai-Epen auf der Leinwand zu sehen, die Kurosawas Ruhm im Westen begründeten, sondern auch die zeitgenössischen Gesellschaftsstücke, die von japanischen Nachkriegsverhältnissen erzählen.

13 Jahre nach seinem Tod, ein Jahr nach seinem hundertsten Geburtstag, gehört Kurosawa immer noch zu den mit Abstand bekanntesten Namen der japanischen Filmgeschichte. Alle 30 Werke in 35mm-Kopien sehen zu können – die meisten laufen zweimal im Arsenal, bevor sie im Rahmen der Filmreihe an Kinematheken und Filmmuseen weitergereicht werden – ist ein ästhetisches Vergnügen, das die Augen öffnet.

Obwohl Kurosawa der erste der »klassischen« japanischen Regisseure ist, der nicht mehr während der Stummfilmära mit dem Filmemachen begann (die sich in Japan bis in die 30er Jahre fortsetzte), ist ihr stilistischer Einfluss in seinen Filmen unverkennbar. Kurosawa weiß mit Bildern zu erzählen, wie es nur jemand kann, der mit den großen Werken der frühen Jahre aufgewachsen ist. Kurosawa, der Maler werden wollte, ein begieriger Leser war und viel ins Kino ging, kannte alle Kanon bildenden Filme auch der westlichen Meister.

Er war ein Perfektionist auf allen Ebenen, der seine Drehbücher selbst schrieb, allein oder mit anderen, das Handwerk des Cutters ebenso beherrschte wie die Kunst der Schauspielerführung und auch den Soundtrack eines Films als expressives Mittel zu nutzen wusste. Eine Szene schmerzlicher persönlicher Erkenntnis konterkarierte er mit dem plärrenden Liebesliedchen »Cuckoo Waltz« in »Drunken Angel« (Der Engel der Verlorenen) von 1948, dem ersten der 16 Filme, die er mit Toshiro Mifune drehte. Da tobt Mifune als leinwandsprengend lebenspraller Gangster in Marlon-Brando-Manier über die Leinwand – bevor er seine Gesundheit verliert, seinen Einfluss, seine Frau und schließlich sein Leben, während dem trunksüchtigen Arzt (ein wunderbar abgewrackt stoppelbärtiger Takashi Shimura), der ihn fast wider seinen Willen zu heilen versuchte, nichts bleibt, als über den gesundheitsschädlichen Mülltümpel vor seiner Haustür zu schimpfen. Dieser dient als Bild für die korrupten Verhältnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Denn Kurosawa, Abkömmling einer Samurai-Familie und in Kalligrafie und dem klassischen japanischen Kampfsport Kendo ausgebildet, ist nicht nur der Regisseur großer Kriegerepen, oder von einem Meisterwerk wie »Ran« mit seinen bildschönen Schlachtenszenen, seiner Farbcodierung, seinem Kulturpessimismus in höchster künstlerischer Vollendung. Er ist auch der Humanist hinter Figuren wie dem Arzt in »Drunken Angel« oder dem kleinen Beamten in »Ikiru«, der kurz vor seinem schmerzhaften Krebstod etwas handfest Gutes tut, indem er durchsetzt, dass ein von den Anwohnern beantragter Kinderspielplatz wirklich gebaut wird – sein Tod, singend auf der Schaukel im Schneefall, gehört zu den ikonischen Momenten in Kurosawas Werk genau wie die Ernüchterung am Ende der »Sieben Samurai«.

Kurosawa verfilmte Shakespeare (King Lear in »Ran«, Macbeth in »Das Schloss im Spinnwebwald«), Maxim Gorki (»Nachtasyl«) und Dostojewski (»Der Idiot«), aber auch Vorlagen aus dem Repertoire des Kabuki-Theaters (»Die Männer, die dem Tiger auf den Schwanz traten«) oder japanische Kurzgeschichten wie in »Rashomon«, mit dem er 1951 völlig überraschend die Filmfestspiele von Venedig gewann. Er drehte Filme über Korruption und die Gefahren der Atomkraft und geißelte schon 1950 den Sensationshunger der Boulevardpresse in »Scandal«.

Gleich nach Kriegsende beging Kurosawa die neue Ära verordneter Demokratie mit »No Regrets for Our Youth«, einem Aufbruchsfilm, der die Selbstfindung und Selbstbestimmung seiner Heldin als Zukunftshoffnung der japanischen Gesellschaft feiert. Ironie der Geschichte: Den kommunistischen Mitgliedern der neu erstarkten Studio-Gewerkschaft ging der individualistische Tenor des Filmendes zu weit und sie zwangen ihn zu Änderungen am Drehbuch (die er ästhetisch zu unterlaufen wusste). In Vorkriegsjahren war Kurosawa Mitglied der Liga proletarischer Künstler gewesen, hatte sich als Kurier für kommunistische Publikationen im Untergrund durchgeschlagen. Und seinen einzigen Oscar erhielt er 1976 für »Dersu Uzala« den einen sowjetrussischen unter seinen Filmen.

Bis 31.10., Kino Arsenal

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