Tabuthema schwule Manager

In den Vorstandsetagen der Konzerne herrscht meist Stillschweigen

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Anders als in der Politik ist es in der Wirtschaftselite völlig unüblich, sich als schwul oder lesbisch zu outen. Eine aktuelle Personalie nährt die Hoffnung, dass sich daran künftig etwas ändern könnte.

Für das US-amerikanische Schwulenmagazin »Out« ist der Fall klar: Tim Cook, der neue Chef des Elektronikkonzerns Apple, ist der mächtigste schwule Mann der Welt. Im jährlichen »Out«-Ranking der 50 einflussreichsten Schwulen und Lesben der Welt verdrängte der Nachfolger von Apple-Gründer Steve Jobs die Talkmasterin Ellen DeGeneres vom Spitzenplatz.

Über das Privatleben des Einzelgängers Cook wird seit Langem spekuliert. Wie Steve Jobs meidet auch Cook das Rampenlicht der Öffentlichkeit, es sei denn, es dient der Präsentation des neuesten Apple-Produkts. Bereits im Januar 2011 präsentierte der Bloggerdienst »Gawker« Cook als potenziellen Erben des schwer kranken Jobs und outete ihn so ganz nebenbei unter Berufung auf Insider als schwul.

Cook ließ das Outing wie auch das »Out«-Ranking unkommentiert. Trotzdem ist sein Aufstieg in der globalen Gay Community positiv aufgenommen worden. Rodney Croome, Australiens prominentester Schwulenrechtler, sagte, die Ernennung von Cook werde es homosexuellen Führungskräften in der Wirtschaft erleichtern, offen zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen.

Auch Oliver Fritz, Vorsitzender des Verbands schwuler Führungskräfte in der Schweiz, »Network«, hofft auf die Vorbildfunktion des eingefleischten Junggesellen Cook: »Natürlich soll er sagen, ob er schwul ist oder nicht, wenn schon alle darüber reden. Mehr verlangt ja niemand. Gar nichts über seine sexuelle Orientierung zu sagen, halte ich mittelfristig für unklug.«

Entscheidender als das Selbstouting des neuen Apple-Chefs ist für Fritz jedoch die Frage, wie schwulen- und lesbenfreundlich das Unternehmen selbst sei. »Wichtiger ist es schlussendlich, ob die Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten von Apple mit einem positiven ›Diversity‹-Ansatz konfrontiert werden«, findet Fritz. Zwar habe Apple in den vergangenen Jahren eine Reihe von Projekten und Zielen der Gay Community unterstützt, so Fritz. »Doch als eigentliche ›gay friendly company‹ ist Apple mir bisher nicht aufgefallen. Erstaunlich, scheinen doch Apples Produkte unter schwulen Männern besonders beliebt zu sein.«

Michael Stuber, Experte für Diversity-Management, weiß, dass Homosexualität unter den Vorständen der großen Konzerne noch immer ein Tabu ist. In den USA sei das »Management noch stärker heterosexuell als männlich oder weiß geprägt«, sagt der Kölner. »Von einem unverkrampften Umgang ist auch Europa noch weit entfernt, wie die ungeschickten Reaktionen diverser Konzerne auf den Vorstoß der Allianz zeigen.« Der Versicherungskonzern hatte vor Kurzem im Rahmen seiner Diversity-Politik eine Initiative zur Verbesserung der Arbeitsplatzbedingungen seiner schwul-lesbischen Mitarbeiter angekündigt.

In den Führungsetagen der großen börsennotierten Unternehmen sucht man offen schwule oder lesbische Spitzenleute noch vergeblich. Es gebe in der Schweiz einige wenige »sehr hoch platzierte« homosexuelle Wirtschaftsführer, aber keine in den 30 größten Schweizer Unternehmen, sagt Fritz. Stuber will wissen, dass es in Deutschland einen »profilierten homosexuellen DAX-Vorstand« gebe. Der halte diesen Vielfaltsaspekt jedoch privat.

Lexikon

Unter Diversity-Management (Vielfaltsmanagement) versteht man die Anerkennung der sozialen Vielfalt des Mitarbeiterstammes eines Unternehmens. Dabei geht es um gezielte Maßnahmen gegen Diskriminierung etwa von Frauen, Schwarzen und Schwulen am Arbeitsplatz sowie für die Verbesserung der Chancengleichheit. Dies alles geschieht im Interesse des Unternehmens, um die Potenziale der Mitarbeiter nicht brachliegen zu lassen, und letztlich der Gewinnmaximierung. ND

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