Ich werde meine Heimat wiedersehen
Bahman Nirumand über die 68er Bewegung, die Diktatur Khomeinis in Iran und die Rettung durch – Liebe
Seine Kindheit verbrachte der Sohn eines hohen iranischen Regierungsbeamten in Teheran. Mit 15 wurde er nach Deutschland geschickt, um einen guten Schulabschluss zu erreichen. 1967/68 war er eine wichtige Figur in der Studentenbewegung. Sein Buch über die Schah-Diktatur mobilisierte die Proteste in Berlin, bei denen der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde.
Kurz vor dem Sturz des Schah 1979 reiste Nirumand voller Hoffnung zurück nach Iran, wurde aber von der Entwicklung der Revolution dort bitter enttäuscht. Sein neues Exil in Deutschland währt nun bereits knapp 30 Jahre. Bahman Nirumand ist Journalist und Autor und lebt in Berlin.
ND: Herr Nirumand, was für ein Land war Iran vor 75 Jahren?
Nirumand: Iran war ein wenig entwickeltes Land. Im Zweiten Weltkrieg wurde es durch die Alliierten besetzt. In dieser Zeit haben sich verschiedene Parteien gebildet, die nach Demokratie und Unabhängigkeit strebten. Bald nach dem Krieg wurde Mohammad Mossadegh zum Ministerpräsidenten gewählt, der die Nationalisierung der britischen Ölindustrie durchsetzte.
Idealisieren Sie Mossadegh?
Nein, er war einer der wenigen Demokraten in der Geschichte Irans. Er hatte, obwohl er aus feudalen Kreisen stammte, den Versuch unternommen, das Land aus der Abhängigkeit von den Briten zu befreien, und zwar nicht mit diktatorischen, sondern mit demokratischen Mitteln. Bis heute finde ich das Ziel von Mossadegh, sich für Unabhängigkeit und Demokratie einzusetzen, vorbildlich.
Warum scheiterte er?
Weil es einen von den USA und auch den Briten organisierten Putsch gab. Iran war damals zu schwach, um sich gegen diese Mächte verteidigen zu können.
Bis zu Ihrem 15. Lebensjahr waren Sie in Iran. Wie erlebten Sie Ihre Kindheit in Teheran?
Ich hatte eine schöne Kindheit, war eingebettet in eine große Familie. Mein Vater war Adjutant vom alten Schah und deshalb fast nie zu Hause. Er schlief sogar in seiner Uniform, damit er schnell zur Stelle sein konnte, wenn der Schah nachts nach ihm rief.
Das klingt sehr deutsch.
Der alte Schah war fast Preuße. Mein Vater auch, zu Hause verhielt er sich wie ein kleiner Diktator. Ich fürchtete ihn und war eigentlich froh, wenn er nicht zu Hause war. Und er war oft nicht zu Hause.
1951 sind Sie nach Stuttgart gekommen. Wie haben Sie diese Stadt, dieses Land erlebt?
Ich hatte zuvor viele schöne Dinge über Europa gehört. Die Ankunft dann war ein Schock. Überall standen noch Ruinen. Es gab kaum ein Haus, das nicht von Kriegsschäden gezeichnet war. Es war November, es regnete. Die Menschen liefen gebückt auf den Straßen umher. Die Schaufenster waren ärmlich ausgestattet. Teheran war zu jener Zeit Stuttgart weit voraus.
Über die Ursache der Zerstörung wurde nicht gesprochen?
Sobald ich einigermaßen Deutsch sprechen konnte, fragte ich nach dem Grund dieses furchtbaren Krieges. Die Leute erzählten mir von der Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion, von den Entbehrungen, dem Hunger nach dem Krieg, auch von den Bombenangriffen. Niemand aber war bereit, mir zu sagen, wie es zu dem Krieg gekommen war. Es herrschte gespenstisches Schweigen. Erst später erzählte mir ein Pfarrer von der Diktatur, den Konzentrationslagern, dem Massenmord an Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten. Ich war schockiert, zweifelte, ob ich in diesem Land bleiben konnte.
Jahre später, in den Jahren 1967, 1968, thematisierte die Studentenbewegung genau dieses Schweigen. Waren jene Jahre für Sie befreiend?
Viele Ziele der Studentenbewegung teilte ich. Die politische Struktur der Bundesrepublik war vor 1968, abgesehen von der formalen Ebene, ein Überbleibsel des 19. Jahrhunderts. Auch die Reste des Nazi-Regimes waren noch spürbar, viele alte Nazis waren noch lange Regierungsmitglieder. Ich habe bei den Protesten damals aktiv mitgemacht. Durch die Veröffentlichung meines Buches »Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt« bekam die Bewegung einen weiteren internationalen Aspekt. Uns ging es also nicht nur um innenpolitische Themen, sondern auch darum, wie der Westen Diktaturen wie Vietnam oder Iran aufbaut, unterstützt, mit Waffen versorgt.
In Ihrem neuen Buch berichten Sie, dass dem SDS und Rudi Dutschke Vietnam zunächst näher waren als Iran.
In Deutschland ist man politisch nicht sehr flexibel. Auch der SDS war damals nicht flexibel genug, merkte nicht, dass durch den bevorstehenden Besuch des Schah in der Bundesrepublik das Thema Iran ähnlich wichtig war wie das Thema Vietnam. Der Kaiser einer Diktatur wurde hier mit allen Ehren empfangen. Die Regenbogenpresse stellte Reza Schah Pahlavi als großen Reformator dar. Deshalb war es damals wichtig, die Bevölkerung darüber zu informieren, um welches Regime es sich in Wirklichkeit handelt. Den SDS konnte ich zunächst nicht von der Wichtigkeit des Protestes gegen den Schah-Besuch überzeugen. Man meinte, das würde von dem Protest gegen den Vietnamkrieg ablenken. Deshalb bin ich zur Kommune 1 gegangen. Dort war man sofort bereit, Aktionen zu planen. Einige Wochen später haben die Leute vom SDS dann gemerkt, welches Potenzial in dem Thema steckt. Der SDS hat dann auch zu den Demonstrationen gegen den Schah mobilisiert.
Die Protagonisten von damals, die Sie erwähnen, gingen ganz unterschiedliche Wege. Dutschke, Meinhof, Schily, Mahler – manche endeten tragisch, andere wurden Spitzenpolitiker oder gar Rechtsextreme.
Ich bin nun 75 Jahre alt und habe sehr verschiedene Entwicklungen – auch bei meinen eigenen Landsleuten – erlebt. Viele waren früher Feuer und Flamme für Demokratie und Freiheit, und auf einmal gab es einen Bruch, einen Seitenwechsel. Eher psychologisch als politisch sind solche Figuren wie Horst Mahler erklärbar. Zwei Jahre, 1967 und 1968, also bis zum Attentat auf Rudi Dutschke, konnte die Bewegung ihre Echtheit bewahren. Erst danach kam das Zerwürfnis, es bildete sich die terroristische, die autoritäre Seite.
Zehn Jahre nach der Revolte in Deutschland erlebten Sie mit dem Sturz des Schah-Regimes eine Revolution in Iran. Die Revolution fraß ihre Kinder?
Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wurde desillusioniert, mehr noch als nach 68. Ich reiste mit großen Hoffnungen nach langen Jahren im Exil nach Iran. Mir war damals klar, dass der Weg von Mossadegh fortgesetzt werden muss. Dass eine noch größere Diktatur folgen würde, konnte ich mir damals in den schlimmsten Albträumen nicht ausmalen. Der Fehler von uns Linken war, dass wir die Situation nicht genau genug analysierten. Die Ideale, die wir im Kopf hatten, passten nicht in die Realität des Landes. Wir hatten die Kraft des Islam völlig unterschätzt. Auch die Linken, die im Land geblieben sind, hätten damals nie geglaubt, dass islamische Kräfte 30 Jahre lang den Iran beherrschen können. Wir kannten das Volk zu wenig. Wir kannten Teheran und die anderen Großstädte, wussten aber nicht, was in der Provinz und in den Slums passiert.
Der Bürgersohn war Sozialist, der Lumpenproletarier religiös?
Nicht nur das sogenannte Lumpenproletariat war religiös. Als Khomeini aus dem Pariser Exil kam, standen 90 Prozent der Bevölkerung hinter ihm. Selbst die moskauorientierte kommunistische Tudeh-Partei hat jahrelang mit dem Khomeini-Regime zusammengearbeitet.
All das war ein Ergebnis der US-Außenpolitik?
In der Tudeh-Partei wurde alles, was antiamerikanisch war, als gut für den Kommunismus dargestellt. Das war falsch. Die Sowjetunion und auch die DDR haben zunächst den Schah und nach der Revolution Khomeini unterstützt. Zu Zeiten des Kalten Krieges hoffte man, dass sich der Schah neutral verhält und die Sowjetunion den Zugang zum Persischen Golf bekommt.
Auch die USA unterstützten in jener Zeit Gruppen, die sie nun bekämpfen?
Ein großer Fehler: Bin Laden und auch die Taliban sind Zöglinge der Amerikaner. Die USA unterstützten viele islamistische Gruppen mit Geld und Waffen, damit diese gegen die Sowjetunion in Afghanistan kämpfen.
Taugt Marxismus noch etwas?
Natürlich, Marx war ein Genie, hat vieles richtig analysiert. Aus dem wissenschaftlichen Marxismus haben dann Lenin und Stalin eine Ideologie gemacht. Aber Ideologie führt nie zu Freiheit. Auch nicht zu Gleichheit. Ideologie führt immer zu Terror. Auch wenn Religionen zu Ideologien werden, werden sie missbraucht.
Sie mussten nach drei Jahren wieder aus Iran fliehen. Das zweite Exil in Deutschland hat Sie psychisch stark belastet.
Ich war nicht nur gezwungen, mein Land zu verlassen, ich beendete mein bisheriges Leben. Ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Ich fühlte mich wie in einem Vakuum. Das war erst einmal wie ein Tod.
In Ihrem Buch schildern Sie, wie Sie in dieser Situation Hilfe von einer Frau und einem Füllfederhalter erhalten. Kann Liebe retten? Kann Schreiben retten?
Ich weiß nicht, ob das Schreiben ohne die Liebe retten kann. Oft war für mich das Schreiben befreiend. Aber in der Situation, in der ich mich befand, landete alles, was ich schrieb, sofort im Papierkorb. Erst die Liebe zu Sonia, meiner Frau, die ich in dieser Zeit kennen lernte, hat mich gerettet, nicht nur psychisch und emotional, sondern auch politisch. Sie, die von jeglicher Ideologie frei war und daher die Realitäten besser einschätzen konnte, befreite mich von der ideologischen Last, die ich noch auf dem Buckel trug. Meine Autobiografie geht übrigens auch auf ihre Initiative zurück. Sonia empfahl mir, über mein bisheriges Schaffen kritisch Bilanz zu ziehen. So kam meine Autobiografie zustande. Darin ist zu einem kleinen Teil auch die Geschichte meiner Liebe zu Sonia enthalten.
Wie erleben Sie den arabischen Frühling?
Ich freue mich, dass einige Diktatoren inzwischen vom Volk gestürzt wurden. Aber nach den Revolutionen ist es notwendig, dass sich demokratische Strukturen bilden. Das sehe ich bislang noch nicht. In Ägypten und Tunesien sind immer noch die alten Machtapparate am Werk, in Libyen steht zwar Ghaddafi am Abgrund, aber ob die Revoltierenden tatsächlich nach Demokratie streben, steht noch nicht fest, und westliche, auch östliche Großkonzerne rivalisieren schon um die Pfründe. Aber allein die Tatsache, dass die Menschen nicht mehr alles dulden wollen und Widerstand leisten, lässt auf bessere Zeiten hoffen.
Werden Sie bald wieder nach Teheran reisen können?
Ich habe immer diese Hoffnung. Und sie ist im Moment auch nicht ganz unberechtigt. Das Regime in Iran hat sich historisch längst überlebt. Ich kann kein Datum nennen, aber ich glaube, ich werde meine Heimat wiedersehen.
Interview: Lutz Debus
Bahman Nirumand: Weit entfernt von dem Ort, an dem ich sein müsste. Autobiografie. Rowohlt, geb., 384 S., 19,95 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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