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Rom hat gesprochen

Wie Benedikt XVI. die deutsche Demokratie vorführte

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Man muss dem Papst dankbar sein. Räumte er doch gleich zu Beginn seiner Rede im Bundestag am Donnerstag mit der kasuistischen Konstruktion auf, man habe ihn in seiner Funktion als Chef eines Zwergstaates mit knapp 1000 Einwohnern eingeladen. Solches Understatement war dem Führer einer Weltkirche mit über einer Milliarde Gläubigen sichtlich zuwider, weshalb er klarstellte: »Aber die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt.« Damit, so seine Folgerung, werde die Rolle anerkannt, »die dem Heiligen Stuhl als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukommt«.

Nach diesem brillanten Eröffnungszug mussten es sich die anwesenden Parlamentarier gefallen lassen, dass Benedikt XVI. ihnen »einige Gedanken über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaats« vortrug. Hunderte frei gewählte Abgeordnete ließen sich von einem Mann die Leviten lesen, der in der Position eines absoluten Monarchen Legislative, Exekutive und Rechtsprechung in seiner Person vereint. Es gab neben Vor- und Nach- sogar Zwischenapplaus.

Einzig der Grüne Hans-Christian Ströbele verließ den Saal und gesellte sich damit zu den Dutzenden, die gar nicht erst gekommen waren. Ansonsten waren die Grünen hellauf begeistert, weil der Papst »das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren« erwähnte und die Binsenweisheit wiederholte, die Bedeutung der Ökologie sei »inzwischen unbestritten«. Eine der wenigen konkreten Stellen, die gleichwohl eine entscheidende Leerstelle aufwies, nämlich die verhängnisvolle Rolle der Kirche(n). So kritisierte in eben diesen 70er Jahren der Schriftsteller Carl Amery »Die gnadenlosen Folgen des Christentums«, wie der Untertitel seines Buches »Das Ende der Vorsehung« lautete. Amery führte die heutige Umweltkrise auch zurück auf die unheilvolle Wirkung des biblischen Geheißes »Macht euch die Erde untertan!« zur Totalunterwerfung der Natur.

Benedikts Lieblingskirchenlehrer Augustinus (354-430) hatte zu Pflanzen und Tieren dekretiert: »Darum hat auch die gerechteste Anordnung des Schöpfers ihr Leben und ihr Sterben unserm Nutzen angepasst.« Nicht passend für die Papstrede, das Zitat. Joseph Ratzinger wählte denn auch lieber dieses: »Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande?« Allerdings kann ein Staat auch mit dem Recht, ja, gerade mittels des Rechts, eine Räuberbande sein. Nicht bei Ratzinger, der Recht, Gerechtigkeit, »wahres Recht« und »Scheinrecht« bunt durcheinanderwarf und nicht ein einziges Mal von sozialer Gerechtigkeit sprach. Was nicht überrascht bei einem Mann, der sich zwar eloquent in der Welt der Kirchenväter bewegt, der gesellschaftlichen Realität aber mit tiefer Fremdheit begegnet.

Das Beiwort »sozial« tauchte lediglich einmal beim »sozialen Naturrecht« auf, das nach römisch-katholischem Verständnis Normen enthält, die ein Schöpfergott dort hineingelegt hat. Und von dieser »Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden«, dozierte Benedikt XVI. Dass die wesentlichen Rechte, die heute in demokratischen Staaten als selbstverständlich gelten, gegen den jahrhundertelangen, erbitterten Widerstand seiner Kirche erkämpft und verteidigt werden mussten, ist zwar auch eine Binsenweisheit. Aber sie blieb an diesem Tag im deutschen Parlament unausgesprochen. Denn es war kein Tag des demokratischen Widerspruchs, sondern der höflichen Huldigung eines Antidemokraten. Roma locuta, causa finita. Rom hat gesprochen, der Fall ist beendet.

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