Nicht gekommen, um zu bleiben

Ein Mob von Bürgern vertrieb Ex-Strafgefangene

  • Lesedauer: 2 Min.
Nach wochenlangen Protesten von Dorfbewohnern müssen sich zwei ehemalige Strafgefangene eine neue Bleibe suchen. Sachsen-Anhalt räumt eine Ohnmacht der Politik ein.

Magdeburg (dpa/nd). Nach wochenlangen Protesten von Dorfbewohnern und Rechtsextremen sind zwei Ex-Sicherungsverwahrte aus Insel bei Stendal dazu genötigt, die Gemeinde zu verlassen. In einem Gespräch mit Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) und Superintendent Michael Kleemann hätten die beiden entlassenen Sexualstraftäter eingewilligt, sich eine neue Bleibe zu suchen, teilte das Innenministerium mit. Der Bürgermeister des Ortes Insel, Alexander von Bismarck (CDU), hatte die Proteste gegen die ehemaligen Häftlinge mitorganisiert.

Im Landtag gab es am Donnerstag scharfe Kritik der Opposition an der Landesregierung. »Damit haben Sie sich zum Agenten der Straße gemacht«, sagte die Fraktionschefin der Grünen, Claudia Dalbert, zum Innenminister. »Sie haben der Demokratie damit einen Bärendienst erwiesen.« Die LINKEN-Abgeordnete Eva von Angern sprach von einer Niederlage des Rechtsstaates. »Es haben sich die durchgesetzt, die den Rechtsstaat erpresst haben.«

Der Landtag betonte in einer Erklärung, dass ehemalige Strafgefangene wie alle Bürger das Recht hätten, ihren Wohnort frei zu wählen. Zugleich wird aber die Ohnmacht der Politik eingeräumt: »Der grundrechtlich geschützte Freiheitsanspruch der Betroffenen lässt sich aufgrund der aktuell zugespitzten Situation derzeit nur schwer realisieren.«

Der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Kinzig hält die wochenlangen Demonstrationen von Bürgern vor dem Haus der beiden Männer für bedenklich. »Das ist schon sehr problematisch in einem Rechtsstaat. Ein solches Verhalten erschwert die Resozialisierung. Wenn das zunimmt, kann das Strafrechtssystem kollabieren.« Er kritisierte bei der Debatte den Hang zur Hysterie. Die Eingliederung entlassener Strafgefangener sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, betonte Kinzig.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.