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Ägyptisches Militär bleibt hart

Armee leugnet Verantwortung für Blutbad an Kopten und verhindert Rücktritte

  • Juliane Schumacher, Kairo
  • Lesedauer: 3 Min.
Während Papst Benedikt XVI. am Mittwoch den Opfern der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Ägypten gedachte, wird in dem nordafrikanischen Land weiter über Schuldzuweisungen gestritten. Das Militär hat die Regierung in der Hand und lässt den stellvertretenden Premierminister nicht zurücktreten.

Nach dem tödlichen Angriff des Militärs auf hauptsächlich koptische Demonstrierende am Sonntag weist die Armee jede Verantwortung von sich und greift weiter mit harter Hand durch. »Die Soldaten haben nicht scharf geschossen, sie hatten nicht einmal Patronen«, sagte Ismail Otman, Mitglied des herrschenden Militärrates. Mindestens 26 Menschen waren am Sonntag ums Leben gekommen. Obduktionsberichte zeigen, dass sie von Soldaten erschossen und überfahren wurden, als diese mit Panzerfahrzeugen in die Menge rasten. Ob es, wie zuvor behauptet, auch Tote unter den Soldaten gab, war unklar, der Militärrat verweigerte genauere Angaben und verwies auf die Bildung einer Untersuchungskommission.

Chaos herrschte derweil im Kabinett: Am Dienstagnachmittag reichte der angesehene Finanzminister und stellvertretende Premierminister Hazem al-Bablawy seinen Rücktritt ein. In einem Brief warf er der vom Militär eingesetzten Regierung eine Mitverantwortung an den Toten vor und forderte sie zum Rücktritt auf. Der kurz darauf angekündigte Rücktritt des gesamten Kabinetts wurde nach einer halben Stunde bereits wieder dementiert, es habe sich um ein »Missverständnis« der Presse gehandelt, so der Sprecher von Premierminister Essam Sharaf. Am Abend gab der Militärrat bekannt, er werde Bablawys Rücktritt »nicht akzeptieren«. Dieser solle am nächsten Tag wie gewohnt zur Arbeit erscheinen. »Ich bin in einer schwierigen Situation«, erklärte der Finanzminister, offenbar ratlos ob der unerwarteten Weigerung.

Die Revolutionsbewegung stand weiterhin unter Schock. Im Internet tauchten neue Videos auf, wie Soldaten auf fliehende Demonstrierende feuern oder sich brüsten, Menschen erschossen zu haben und dafür von anderen bejubelt werden. Augenzeugen sagten aus, es habe noch mehr Tote gegeben, Soldaten hätten sie in den Nil geworfen. Das Staatsfernsehen und Zeitungen sprachen hingegen auch am Dienstag von religiösen Zusammenstößen und »christlichen Extremisten«.

Menschenrechtsorganisationen reichten wegen »Volksverhetzung« Klage gegen den Informationsminister ein. Staatliche TV-Sender hatten demnach Sonntagnacht gegen Kopten gehetzt und zur Gewalt aufgerufen. Eine Moderatorin forderte die Bürger dazu auf, die Armee gegen den »Angriff« der Kopten zu verteidigen. Das Staatsfernsehen hatte behauptet, die Kopten seien bewaffnet und hätten das Militär mit automatischen Waffen angegriffen. Diese dementieren und sagen, das Militär hätte sie ohne Vorwarnung attackiert.

Druck kommt inzwischen auch aus dem Ausland. Während die westlichen Regierungen weitgehend Stillschweigen bewahren, haben Amnesty International und Human Rights Watch eine rasche Aufklärung der Ereignisse und der Rolle des Militärs gefordert. Christliche und Menschenrechtsgruppen in den USA haben eine Petition an den Kongress aufgesetzt, die Militärhilfe an Ägypten sofort zu stoppen. Ägyptens Militär erhält 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr, mehr geht nur nach Irak. »Unser Steuergeld unterstützt eine Armee, die die eigenen Bürger angreift, tötet und unterdrückt«, heißt es in dem Petitionsaufruf, den rund 20 000 Menschen schon am ersten Tag unterzeichneten.

Die Armee setzte ihren harten Kurs fort: Am Dienstag griff die Militärpolizei streikende Textilarbeiter an. Mehrere Dutzend wurden verletzt, mindestens zwölf festgenommen.

Im Berufungsverfahren von Maikel Nabil Sanad hat das Militärgericht entschieden, das Verfahren neu aufzurollen. Der seit März inhaftierte Militärkritiker soll jedoch nicht, wie erhofft, in der Zwischenzeit freikommen. Sanad befindet sich über 50 Tagen im Hungerstreik, sein Gesundheitszustand ist kritisch. Vor dem Gerichtsgebäude wurden Berichten von Augenzeugen zufolge zwei französische Fernsehreporter festgenommen.

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