Der Überzeugungstäter

Der Gropiusbau zeigt eine Retrospektive des Fotografen W. Eugene Smith

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Stahlwerkarbeiter, Pittsburgh, 1955
Stahlwerkarbeiter, Pittsburgh, 1955

Auf lichtblauer Wand dem Eingang gegenüber sieht man W. Eugene Smith, wie ihn andere bei der Arbeit beobachteten. Mit 20 und namentragender Tasche auf einem Dach, später auf dem Deck eines Flugzeugs, in reißendem Strom, nach einer Operation, auf einem Berg, in der Dunkelkammer. Und mit seiner zweiten Frau, bärtig ist er da und alt geworden, trägt Brille, ein Jahr nur vor dem frühen Tod. Das macht den Betrachter neugierig auf ein intensiv geführtes Leben für die Fotografie.

Er wird reich belohnt. Denn W. Eugene Smith, dem der Martin-Gropius-Bau eine repräsentative Schau mit über 200 Exponaten widmet, ist ein Besonderer unter den Meisterfotografen des vergangenen Jahrhunderts. Einer, der seine Themen sorgsam wählte, seine Schwarz-Weiß-Fotos dann mit äußerster Akribie aufnahm und alle Emotion in die Motive legte, um auch den Adressaten der Fotos zu emotionalisieren. Wahrheit und Mitgefühl hießen seine zentralen Prämissen, durch die ihm soziale Veränderung, zumindest aber zeitaktuelle Einflussnahme vorschwebte: Anteilnahme als »eine Verpflichtung«, wie er es ausdrückte, Fotojournalismus als »Dokumentarfotografie mit einer bestimmten Absicht«.

Früh begann der 1918 in Kansas geborene Junge, der eigentlich Flugzeugbauer werden wollte, mit der Fotografie, entdeckte in ihr rasch seine Berufung, kann mit 16 erstmals veröffentlichen, siedelt nach New York um und fasst dort schon mit 19 im Metier Fuß. Ab 1938, besonders zwischen 1948 und 1954 entstehen für das bekannte Magazin »Life« revolutionierende Fotoessays, die ihren Schöpfer weltweit berühmt machen. Danach tritt er der legendären Agentur »Magnum« bei, arbeitet dann freiberuflich an mehreren unvollendeten Projekten und liefert 1974 eine letzte spektakuläre Fotoserie, ehe er zwei Jahre später an Hirnblutung stirbt. Spuren haben seine Ästhetik, sein Ethos und Engagement bis heute hinterlassen. Sechs meisterhaften, überwiegend für »Life« entstandenen Essays setzt die Ausstellung ein Denkmal.

Als die USA 1950 dem Spanien Francos Wirtschaftshilfe anboten, reiste Smith auf die iberische Halbinsel. Anklage der Zustände unter dem Diktator war sein Anliegen, den Ort für die geplante Serie fand er in einem archaischen Dorf der Extremadura. Unter Observation durch die berüchtigte Guardia Civil fotografierte er in Familien, zu Gesundheitspflege, Einfluss der Kirche und Landwirtschaft. Sein Panorama des kargen Lebens reichte von den kleinen Freuden im Tanz bis zur Totenwache, von lax rauchenden Beamten unterm Franco-Bild und finsteren Typen der Guardia bis zur Heiligenprozession. Smiths politische Intention verpuffte: Als sein Essay »Spanisches Dorf« 1951 publiziert wurde, waren die Finanzhilfen längst gebilligt. Besonders zwei Essays trugen ihm große Popularität ein. »Landarzt« porträtiert 1948 als Mix aus Dokumentation und Interpretation den Alltag eines Arztes nahe Denver. Smith begleitet ihn voller Hochachtung über große Distanzen, zeigt, wie er mangels eines Aufzugs seinen Patienten selbst in den OP-Saal trägt, Verwundete notversorgt, bei Regen auf Hausbesuch fährt, wie ihn der Schock zeichnet, Mutter und Kind nicht retten zu können.

Mit »Hebamme« würdigt Smith 1951 die aufopferungsvolle Arbeit einer Farbigen in den Südstaaten der USA, damals eine Provokation. Der Fotograf weicht ihr nicht von der Seite, als sie untersucht und bandagiert, impft und entbindet, tröstet und Kleidung sammelt. Ein Kind, dem Eugene Smith Blut spendet, stirbt dennoch. Aber sein Essay rüttelt auf: 20 000 Dollar bringen »Life«-Leser für die ersehnte Klinik der Hebamme auf, die Smith 1953 besucht. Sein größter Erfolg.

Letzter Beitrag für »Life« wird »Ein Mann der Barmherzigkeit«, Smiths Bekenntnis zu Albert Schweitzer und dessen Krankenhaus in Lambarene. Wieder fängt er auch das Leben im Lepra-Dorf ein, wieder enttäuscht den Perfektionisten die Umsetzung des Themas durch die »Life«-Redaktion. Für »Magnum« soll er in Pittsburgh fotografieren, strebt, nun eigenständig, ein Gesamtkunstwerk aus Wort und Bild an, verzettelt sich mit 17 000 Aufnahmen, von denen im Gropiusbau grandiose 23 gezeigt werden. Der Essay indes wird nie fertig.

Nochmals gelingt Smith eine Arbeit ganz nach seiner Ambition, als er 1971-73 in Minamata einen Skandal aufdeckt. Ein japanischer Chemiekonzern hatte Abwasser voller Quecksilber in Fischereigebiet entsorgt, was bei den Menschen Krankheit und Verstümmelung bewirkte. Smith protestierte mit, wurde zusammengeschlagen, seine Bilder aber gingen um die Welt. Entschädigt wurden die Opfer nach endlosen Prozessen erst 2008. Die Fotos Leidender und gleichgültiger Beamter berühren stark, wie Smith es beabsichtigt hat. Fotografie eben als tätige Anteilnahme.

Bis 27.11., Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, Tel.: (030) 25 48 60, www.gropiusbau.de

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