Aufregung um das Iran-Papier aus Wien

Die Internationale Atomenergie-Behörde veröffentlichte eine Stellungnahme zu Iran - und keiner weiß, was drin steht

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Wiener Atombehörde hat einen Bericht zu Iran vorgelegt. Er lässt viele Interpretationen zu. Beweise für ein Waffenprogramm enthält er nicht.

Das Papier, das die Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien am Dienstagabend zum iranischen Atomprogramm veröffentlichte, hat wohl niemanden mehr überrascht. Der Tenor lautet: Die Islamische Republik Iran arbeitet an einem Kernforschungs-programm, das vorgeblich rein zivilen Zwecken dient, in Wirklichkeit aber zumindest auch die Entwicklung atomarer Waffen verfolgt. In dieser Weise wird bereits seit einer Woche kommentiert, Iran verurteilt und dem Land sogar unverhohlen gedroht; von den westlichen Ländern mit noch schärferen Finanz-, Handels- und Wirtschaftssanktionen, von Israel und politischen Scharfmachern in den USA sogar mit Krieg. Funktionsträger der IAEA haben der antiiranischen Stimmung, warum auch immer, vor der Veröffentlichung ihres Berichts nicht widersprochen.

Sie taten das auch danach, am Dienstag, nicht. Fragt man indes, worauf sich die schwerwiegenden Vorwürfe, es gebe neue Beweise gegen Teheran, konkret stützen, bleiben - jedenfalls bis zum gestrigen Tage - die Antworten vage. Die IAEA hat keine diesbezüglichen Beweise veröffentlicht. Das führte zum Beispiel zu der absurden Situation, dass sich Israels früherer Ministerpräsident, der heutige Verteidigungsminister Ehud Barak, im Rundfunk bereits offen über einen möglichen »militärischen Einsatz« gegen Teherans Atomanlagen äußerte, während sich sein Regierungssprecher zur gleichen Zeit, danach befragt, auf die Formulierung zurückzog, man müsse den Bericht erst studieren.

Ähnlich äußerte sich, ihren offiziellen Kenntnisstand betreffend, die russische Regierung, immerhin eine Vetomacht im UN-Sicherheitsrat. »Wir müssen das Dokument, das wir bisher nicht vollständig erhalten haben, erst sorgfältig studieren«, hieß es. Ihr liege bisher nichts aus Wien vor.

Offizielle Unterlagen sind gewiss nur ein Teil des Kenntnisstands einer Großmacht. So wie man dem israelischen Geheimdienst zutrauen darf, dass er die bewussten Papiere kopiert hat, noch ehe der japanische IAEA-Direktor Yukiya Amano ihrer ansichtig wurde, gibt es auch keinen Grund anzunehmen, dass die russische oder die US-amerikanische Seite der Öffentlichkeit ausgerechnet dieses Mal ihr tatsächliches Wissen preisgeben.

Allerdings - andere Kriterien als veröffentlichte glasklare Beweise können und sollten gerade nach den amerikanisch-britischen Lügengeschichten über vermeintliche irakische Massenvernichtungswaffen im Jahre 2003 niemals mehr zur Grundlage internationaler politischer Entscheidungen, geschweige denn zur Rechtfertigung eines Angriffskrieges werden.

Darauf läuft es im Moment wohl hinaus, wenn sich international weniger Widerstand als erwartet artikuliert. Iran wurde von den westlichen Mächten sukzessive zum Schurkenstaat herunterdefiniert und damit für kriegstechnisch vogelfrei erklärt; wie vor zehn Jahren Irak und vor zehn Monaten Libyen. Texas-Gouverneur Rick Perry, der nächstes Jahr gern US-Präsident werden möchte, übt sich in der hemdsärmeligen Rhetorik, für die Chefs jenes Bundesstaates bekannt sind. Da sich all dieses also weitgehend unabhängig von den Fakten vollzieht, darf man annehmen, dass das IAEA-Papier allenfalls den Anlass bot, um das atlantische Visier nach dem als glorreich empfundenen Libyen-Sieg wieder auf Iran zu richten.

Um so mehr ist man überrascht, dass die IAEA, eine mit Rüstungsexperten gespickte und auch exakter Formulierungen für ihre Botschaften fähigen Leuten gesegnete Behörde, mit schwammigen Pamphleten an die Öffentlichkeit tritt, die zunächst allen alles zu behaupten erlauben, was sie ohnehin zu sagen vorhatten.

Andere wundern sich schon nicht mehr. Hinter vorgehaltener Hand erklären manche Politiker und Diplomaten, eine doch recht abrupte Neuorientierung der IAEA-Spitze in Richtung Westen bemerkt zu haben. Wie immer man zu dieser Ansicht steht, so ist doch zu bemerken, dass das Verhältnis der USA zum IAEA-Chef geradezu freundschaftlich anmutet. In puncto Iran gibt es viele gemeinsame Formulierungen.

Bei Mohamed el-Baradei, dem Vorgänger des Japaners, war das deutlich anders. Der Ägypter warf seine diplomatischen Fähigkeiten gerade im Falle Irans häufig in die Waagschale, um Konfrontationen in Verhandlungen münden lassen und nicht noch zuzuspitzen. Letztlich erhielt er für diese Art politischer Moderation auf schwierigem Parkett auch den Friedensnobelpreis. Aber es konnte dabei nicht ausbleiben, den USA gelegentlich zu widersprechen. Und Baradei ist auch der bisher einzige hohe UN-Amtsträger, der Israel auf dessen heimliche Atomwaffenproduktion ansprach und auch sie zu kontrollieren forderte.

All das war bei der Bush-Präsidentschaft gar nicht gut angekommen Das Pentagon versuchte einiges, um Baradei zu Fall zu bringen. So behauptete man, in seinem Ressort gebe es finanzielle Unregelmäßigkeiten, und zapfte ungeniert sein Telefon am UNO-Sitz an - am Ende nicht mit dem gewünschten Erfolg.

Wenn sich der Eindruck besonderer Nähe zum Pentagon nicht weiter verfestigen soll, wäre die IAEA also gut beraten, die Dinge zu klären. Ebenso müsste die Behörde deutlich machen, warum sie mit ihrem Papier gerade jetzt an die Öffentlichkeit ging. Russland hatte sich in den vergangenen Wochen wieder um eine Lösung des Streits bemüht. Moskau, selbst Atomlieferant für Iran, will erreichen, dass friedliche Atomnutzung vereinbar bleibt mit wirksamer Waffenkontrolle. Natürlich auch im eigenen Geschäftsinteresse, aber gewiss nicht allein deshalb. Dieses Interesse sollten auch die Staaten Europas (wieder) haben. So wie sie es hatten, ehe sie sich in den US-amerikanisch-israelischen Boykottstrudel ziehen ließen.


Atomanlagen in Iran

Natans: In der unterirdischen Fabrik südöstlich von Teheran wird schwach angereichertes Uran produziert. Es wird für die Stromgewinnung, aber in hoch angereicherter Form auch für Atomwaffen benötigt. Für den Bau von Atombomben müsste Uran auf 80 Prozent angereichert werden.

Ghom: Anreicherungsanlage, die noch nicht in Betrieb ist. Die Fabrik in einem Tunnelsystem nahe der den Schiiten heiligen Stadt Ghom bietet Platz für 3000 Zentrifugen zur Urananreicherung. Buschehr: Bis zur Islamischen Revolution von 1979 betrieb die deutsche Kraftwerk Union (Mülheim an der Ruhr) das Projekt. 1995 stieg Russland in den Weiterbau der Anlage am Persischen Golf ein. Im September ging dort Irans erstes Atomkraftwerk in Betrieb.

Isfahan: Anlage zur Produktion von Kernbrennstäben. Auch das in Zentrifugen zur Urananreicherung benötigte Hexafluoridgas wird dort hergestellt.

Arak: Seit 2002 im Bau befindlicher Schwerwasserreaktor.

Teheran: Leichtwasserreaktor, der 1979 mit US-Hilfe gebaut wurde. Er soll Material für medizinische Zwecke produzieren. Dazu benötigt er angereichertes Uran.
dpa/nd

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