Zeiten der Schande

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Zeiten der Schande

Deutschland, sagt die Kanzlerin, lebt zurzeit in Schande, und - jetzt kommt es - »wir werden nicht ruhen«, bis die Verbrechen der Rechtsterroristen restlos aufgeklärt sind. Immerhin verzichtete sie auf die Fügung »brutalstmöglich aufgeklärt sind«, die aus CDU-Kreisen im Zuge anderer schwerer Gesetzesbrüche schon zu vernehmen war. Nur: Angesichts der mehr als zehn Jahre unbehelligten neonazistischen Mörderbande war der Ruhe ja wohl genug. Wahrheitsgemäß hätte die Kanzlerin sagen müssen, ab sofort werden wir uns endlich bewegen, um das kaum fassbare Geschehen zu hinterleuchten. Auch zu einer Entschuldigung bei den Opfern hätte sich Merkel längst gedrängt fühlen müssen. Hat sie aber nicht.

Richtig aufklärend ist der verbale Umgang mit dem unleugbaren Toben des braunen Mobs in Deutschland immer noch nicht. Zwar hat der früher bei rechten Übergriffen meist bemühte »Einzeltäter« derzeit keine Konjunktur. Es ist von der »Zwickauer Zelle« und dem »Thüringer Trio« die Rede. Klingt irgendwie niedlich und läuft auf kleinkollektive Einzeltäter hinaus. Abgesehen davon, dass es geografisch verwirrt. Weil Zwickau in Sachsen liegt, wo sich die faschistoiden Täter viele Jahre verstecken konnten, und Jena in Thüringen Ausgangs- und Bezugspunkt war. Ebenfalls sträflich unterschätzt und schlampig verfolgt. Aber was soll diese betont geografische Zuordnung überhaupt? Schwingt da die Erwartung mit, solche Verbrechen könnten nur in östlicher Gegend ihren Urquell haben? Es geht hier aber nicht um regional orientierte Eierdiebe, sondern um organisierte deutsche Rechtsterroristen, die das Land mit vermeintlich nicht aufklärbaren Morden und Anschlägen überzogen haben. Lokalkolorit ist schon deshalb nebensächlich, weil in keinem der sechs Bundesländer, in denen die Neonazis Menschen töteten, wenigstens eines dieser Verbrechen sauber zu Ende ermittelt wurde. Hier ist der große Staatsjammer im Gange, nicht der kleinstaatlerische von Thüringen, Niedersachsen, Sachsen, wo unterdessen Fehler eingestanden wurden.

Und was taten eigentlich die sogenannten Terrorismus-Experten die ganze Zeit, welche uns in den Medien angedient werden? Sie setzten, eingebettet wie sie sind, getreu die Blickrichtung derer ins Bild, die summarisch Sicherheitsbehörden genannt werden. Verdächtig zuerst Al Qaida, danach Linksradikale, schließlich Geistesgestörte und eben Einzeltäter. Letztere mitunter in Tateinheit. Rechte konspirative Zusammenrottungen? Kaum die Rede davon. Erinnert sei an den unsterblichen Moment am 22. Juli dieses Jahres kurz nach 19 Uhr. Da verkündete der eifernde ZDF-Terrorismus-Experte Elmar Theveßen, norwegische Ermittler hätten ihm gesagt, das gerade erst geschehene, später als Breivik-Attentat bekannt gewordene Massaker weise in Richtung Al Qaida. Wohin sonst? Kurz vor 22 Uhr ruderte er gewaltig zurück, denn Anders Behring Breivik ist eingefleischter Rechter. Was - in Norwegen - wenigstens unmittelbar nach den furchtbaren Taten auf dem Schirm war. Gegen die Spezies der hiesigen Terrorismus-Experten sollte man sich bewaffnen.

Bei so nach- und fahrlässiger, unkoordinierter und eifersüchtelnder »Arbeit« verschiedener Behörden gegen verbrecherische rechte Umtriebe ist der Terrorismusbekämpfung in Deutschland generell tief zu misstrauen. Wäre beispielsweise der religiös intendierte Terror so gefährlich wie im Zuge der ständigen Verschärfung der Sicherheitsgesetze dargestellt, müsste er in diesem Lande alle Chancen haben. Wer das bestreitet, wie Innenminister Friedrich es tut - »In Deutschland braucht keiner Angst zu haben« -, gibt unfreiwillig die wirkliche Schande zu: Nach rechts ist die Linse stark getrübt. Was sagt eigentlich Wolfgang Schäuble zu alldem, bis 2009 Bundesinnenminister, in dessen Amtszeit der rechte Terror ungebremst weiter wüten konnte? Er rettet jetzt den Euro. Hoffentlich.

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