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Im Wendland geht es los

2000 Schüler demonstrieren in Lüchow / »Schotterer« setzen wieder auf Handarbeit

  • Reimar Paul, Lüchow-Dannenberg
  • Lesedauer: 4 Min.
Während der Castortransport kurz vor der französisch-deutschen Grenze eine Pause einlegte, läutete am Donnerstag die traditionelle Schülerdemo die heiße Phase der Proteste im Wendland ein.

Immer wieder flimmert das 40-minütige You-Tube-Video am Donnerstag über einen der Monitore im Info- und Logistikzentrum der Atomkraftgegner auf der Dannenberger »Esso-Wiese«. Immer wieder ist zu sehen, wie völlig enthemmt wirkende Beamte der französischen paramilitärischen Polizeitruppe CRS mit langen Stöcken auf Demonstranten einschlagen und mit Tränengasgranaten auf die Castorgegner schießen. Die Felder in der Nähe des Verladebahnhofs Valognes, wo der Castortransport am Mittwochnachmittag mit eineinhalbstündiger Verspätung abgefahren ist, sind in dichten Rauch gehüllt.

Um den Fernseher stehen Atomkraftgegner. »Wie im Bürgerkrieg«, sagt kopfschüttelnd eine junge Frau. »Hoffentlich hält sich die Polizei hier am Wochenende mehr zurück.« »Wie in Malville«, sagt ein älterer Mann. »Da war das genauso.« Am 31. Juli 1977 eskalierte eine Demonstration gegen den Bau des Schnellen Brüters in Südfrankreich. Die CRS verschoss damals neben Tränengas auch scharfe Granaten. Der Lehrer Vital Michalón starb, zwei weitere Demonstranten verloren Gliedmaßen. »Ich war damals dabei«, sagt der Mann.

Auch die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg ist über den Polizeieinsatz in Frankreich erschüttert. »Wir fordern die deutsche Polizei auf, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu achten und auf Prügel und Gas zu verzichten«, sagt Sprecher Wolfgang Ehmke. »Der Bundesumweltminister darf seinen gestrigen Appell, sich friedlich zu verhalten, gern an die Polizei richten.« Ehmke erinnert daran, dass beim Castortransport im vergangenen Jahr im Wendland 2190 Kartuschen Pfefferspray versprüht wurden. Hunderte Demonstranten erlitten dadurch Verletzungen.

Auch bei der Schüler-Demonstration am Vormittag in Lüchow sind die Polizeiübergriffe ein Thema. Von Angst oder Resignation ist allerdings wenig zu merken. Rund 2000 Jugendliche ziehen mehrere Stunden lang durch die Kreisstadt - es ist eine bunte und lautstarke Demo. Viele Teilnehmer haben sich die Gesichter mit dem Radioaktivitätszeichen oder der Parole »Castor stopp« bemalt. Andere tragen Pullover mit der Aufschrift »Gorleben soll leben« oder schwenken die orange-grüne Fahne der »Republik Freies Wendland«.

Auch 14 Traktoren und mehrere Unimogs tuckern mit. Die Polizei hatte zunächst nur fünf Trecker erlaubt, die Behörden koppelten eine Genehmigung der Demonstration an weitere Auflagen. So durften mitgeführte Transparente nicht breiter als 3,50 Meter und nicht höher als einen Meter sein. »Es gab einen Eierwurf, sonst blieb alles friedlich«, resümiert am Mittag die Polizei.

Die Demonstration der Lüchow-Dannenberger Schüler bildet traditionell den Auftakt für die »heiße Phase« der Proteste gegen die Atommülltransporte. Redner kündigen für die kommenden Tage denn auch weitere Aktionen an. Hunderte Menschen aus dem Wendland haben in den vergangenen Tagen in ganz- oder halbseitigen Anzeigen in der örtlichen »Elbe Jeetzel Zeitung« ihren Protest gegen die Castoren und ihre Bereitschaft zum Widerstand bekundet.

Mehrere Geschäfte wollen in den nächsten Tagen schließen, Inhaber und Angestellte bei den Demos dabei sein. Auch der Friseurladen »Haarmonie« in Dannenberg öffnet am Samstag, Montag und Dienstag nicht - »aus gegebenem Anlass«, wie es in einer mit »X« umrahmten Zeitungsanzeige heißt. In dringenden Fällen bieten »Conny Albrecht und Team« aber einen Notdienst an.

Die Initiative »Castor schottern« kündigt am Nachmittag an, dass sie auch dieses Jahr wieder Schottersteine aus dem Gleisbett der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg räumen und diese so unbefahrbar machen will. »Wir werden so viele Schottersteine entfernen, bis die Gleise schweben«, sagt Sprecher Mischa Aschmoneit. Die Strecke werde in den kommenden Tagen von keinem anderen Zug befahren. Eine Konfrontation mit der Polizei will »Castor schottern« vermeiden: »Wenn wir auf Polizei treffen, werden wir ausweichen. Da wo wenig Polizei ist, werden wir durchfließen.« Gegen mögliche Polizeiübergriffe werde man sich aber mit Planen und Polstern schützen. Im vergangenen Jahr hatte es beim Versuch des »Schotterns« an der Bahnstrecke heftige Auseinandersetzungen zwischen Atomkraftgegnern und der Polizei gegeben.

Einer möglichen Basis sind die »Schotterer« indes beraubt. Das bei Dumstorf (Kreis Lüneburg) geplante Protestcamp bleibt verboten. Das Lüneburger Verwaltungsgericht habe einen Widerspruch gegen den Sofortvollzug der Verbotsverfügung zurückgewiesen, teilt die Organisationsgruppe mit. Das Lager werde aufgegeben und abgebaut. Der Landkreis hatte eine Genehmigung des Camps an Bedingungen geknüpft. Es sollte in mindestens vier Kilometern Entfernung von der Castor-Bahnstrecke errichtet werden. Die Anmelderin, LINKE-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, sollte sich von der Kampagne »Castor schottern« distanzieren. Beides lehnte Jelpke ab. Daraufhin untersagte die Kreisverwaltung das Camp.

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