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Die Kraft des Mythos

Simón Bolívar, Befreier Lateinamerikas

  • Helge Buttkereit
  • Lesedauer: 2 Min.

Es kann keine Biografie über Simón Bolívar, den Mann, der schon zu Lebzeiten den Titel des »Befreiers« (Libertador) Lateinamerikas erhalten hat, geschrieben werden, ohne gleichzeitig seine Rezeption zu thematisieren. Denn die historische Gestalt ist, insbesondere in Venezuela, durch quasi religiöse Verehrung, verdeckt. Dass sich Michael Zeuske sowohl mit dem Mann und seiner Zeit als auch mit dessen Weiterleben in den Erzählungen befasst, ist folgerichtig.

Dabei geht es dem Kölner Lateinamerikanistik-Professor mit Leipziger Wurzeln nicht darum, in der Form der heute oft praktizierten Geschichtsschreibung Mythen zu dekonstruieren, so dass am Ende vor allem die Frage steht, ob es überhaupt eine Realität in der Geschichte gibt. Zeuske hat den Glauben an die Realität der Geschichte nicht verloren. Dabei erkennt er auch die Realität des Mythos und dessen Bedeutung für den Verlauf von Geschichte an.

Der Autor zeichnet die Entwicklung der Kolonialgesellschaft und die Unabhängigkeitskriege nach. Vor diesem Hintergrund werden die Mythen der vergangenen knapp 200 Jahre über Bolívar verständlich. Denn er steht wie kein anderer für die Unabhängigkeit und gleichzeitig für die Widersprüche, die mit dem Kampf gegen die Spanier und für ein eigenständiges Lateinamerika einher gingen. Die jeweiligen Akteure nahmen den Teil Bolívars an, den sie für ihre Zwecke einsetzen konnten. So gibt es den liberalen Bolívar, der gegen die Sklaverei war und für Demokratie steht, sowie den konservativen, der Sklaven besaß und zur Legitimation einer Diktatur herhalten konnte.

Die Linke pflegt, spätestens seit Hugo Chávez, ihren eigenen Bolívar-Mythos, der, laut Zeuske, »die Antwort auf 200 Jahre Bolívar-Mythos von oben« ist. Dass daraus ein neuer Kult wurde, anstatt Bolívar kritisch zu historisieren, bedauert der Autor und fügt zu Recht an, dass es sich derzeit nicht sagen lasse, »ob der bolivarianische Prozess à la longue in eine tiefgreifende Umgestaltung einmündet«. Dies erfüllt sich nur, wenn es den Venezolanern gelingt, über den Mythos hinaus selbsttätig eigene Geschichte zu machen.

Michael Zeuske: Simón Bolívar. Befreier Südamerikas. Geschichte und Mythos. Rotbuch, Berlin. 173 S., br., 12,95 €

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