Eine ratlose Weltmeisterin

LEICHTATHLETIK: Zwei Wochen vor den WM in Edmonton Kugelstoß-Titelverteidigerin Astrid Kumbernuss schreibt Medaillengewinn fast ab

Sie ist eigentlich eine ausgesprochene Frohnatur, die Neubrandenburger Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss. »In dieser Saison kann mich nichts mehr umhauen«, sagt sie und lacht dabei sogar. »Auch wenn ich manchmal eine saure Miene ziehe und über mich selbst enttäuscht bin, so bin ich nach wie vor für die WM motiviert. Dabei ist mir völlig klar: Ich fahre zwar als Titelverteidigerin nach Edmonton, doch ich will jetzt keinen Unsinn erzählen und sagen: Das wird schon. Vielleicht. Ich muss meine Strategie ändern und kann nicht so daherreden von einer Medaille. Die Ausgangsposition ist so schwierig wie noch nie zuvor. Und wenn ich mir selbst gegenüber ehrlich bin, wäre es grober Unfug, jetzt von einer Titelverteidigung zu sprechen.« Beim 12. Lausitzer Meeting am Mittwochabend in Cottbus kam die dreifache Weltmeisterin in Serie und Olympiasiegerin von Atlanta in ihrem dritten Wettkampf nach ihrer Zehenverletzung gleich im ersten Versuch auf 19,58 m. Der zweite Stoß im dritten Durchgang lag bei 19,20 m - alles andere war ungültig. Gegenüber dem letzten Wettkampf drei Tage zuvor in Hamburg steigerte sie sich um 31 Zentimeter und erzielte mit ihrer Siegweite ihr zweitbestes Resultat in dieser WM-Saison (Bestweite 19,60 m). »Natürlich bin ich überhaupt nicht zufrieden, über die Weite nicht, dann nur zwei gültige Stöße«, sagt sie. »Ich hoffe, dass ich bis zur WM den Kopf wieder frei bekomme.« Ja, die Sache mit dem Kopf. Sie ist nicht einfach zu erklären. »Im Training bin ich gut drauf, stoße über 20 Meter, aber im Wettkampf bin ich davon weit entfernt. Hier fehlt mir die nötige Aggressivität. Die Übersetzung sozusagen vom Körper auf die Kugel stimmt nicht. Dabei denke ich: Eigentlich habe ich im Training alles richtig gemacht. Ich kann hier keine Fehler erkennen. Irgendwie bin ich ratlos.« Kurze Pause. »Doch die Misserfolge nerven und verursachen auch Druck.« Immerhin: Die 31-Jährige gewann seit 1994 bei allen Top-Ereignissen eine Medaille. Die Sache mit dem Kopf hat noch eine andere Bewandtnis: »Es läuft ja nicht nur sportlich so ziemlich alles schief. Dazu gehört auch, dass ich das Trainingslager in Portugal wegen der Zehenverletzung abbrechen musste. Es läuft auch privat viel schief«, erzählt sie. »Der Tod von zwei meiner privaten Sponsoren - darunter auch mein Cousin - belastet mich unheimlich. Da stellt man sich immer öfter die Frage nach dem Sinn des Lebens: Wie viel Bedeutung hat - gemessen an diesem menschlichen Verlust - der Verlust eines Weltmeistertitels? Mit einer solchen Frage habe ich mich vorher noch nie auseinander gesetzt. Vielleicht rührt von daher eine gewisse Blockade im Kopf.« »Astrid ist in Stresssituationen nicht mehr so handlungsfähig wie vor der Geburt unseres Sohnes Philipp«, glaubt ihr Trainer und Lebensgefährte Dieter Kollark als eine Ursache für ihr Formtief zu sehen. Die Rolle als Mutter habe völlig neue Anforderungen an die Athletin gestellt. »Sicher, Philipp hat vieles verändert«, gibt Astrid Kumbernuss zu, »aber eine gravierende Ursache meiner mentalen Schwächen ist das nicht.« Kommenden Donnerstag reist Astrid Kumbernuss zur Vorbereitung auf die WM in Edmonton (3. bis 12. August) ins Trainingslager nach Calgary und will am 30. Juli noch einen Wettkampf in Kanada bestreiten. »Philipp«, so erzählt sie ganz und gar nicht beiläufig, »wird die ganze Zeit meiner Abwesenheit über bei meinen Eltern gut aufgehoben sein. Das beruhigt mich. Und für mich selbst hoffe ich eben auf ein bisschen Glück.« »Für den Weltmeistertitel«, so prophezeit sie, »wird man um die 20,70 Meter stoßen müssen.« Und spontan fügt sie hinzu: »Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. In Edmonton fängt alles von vorn an. Darauf setze ich. Entweder komme ich in den Endkampf rein und stehe ihn ganz gut durch, oder fliege schon vorher raus. Mal sehen. Und wenn ich scheitere, geht die Welt auch nicht unter. Dann heißt der nächste Anlauf: EM 2002 in München. Ich mache jetzt eine Phase durch, die jeder Athlet mal durchmachen muss. Man kann nicht immer auf der Sonnenseite stehen«, sagt sie und lacht dabei schon wieder.
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