Das Eigene, das Fremde

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Eigene, das Fremde

Hat das »Englein« auch einen trotzigen Blick, ahnt man auch hinter dem Kind einen düsteren Kellergang, ein verfallenes Haus, so wird hier in aller Ärmlichkeit doch Schönheit behauptet. Den meisten anderen Leuten, die Gundula Schulze Eldowy fotografierte, ist es dagegen schon lange egal, wie sie wirken. Sie haben sich verkommen lassen. Oder stimmt das gar nicht? Ist das, was anderen hässlich, abstoßend erscheint, ihre selbstbewusste Lebensäußerung? Vielleicht auch ihre Art des Protests gegen Normen, denen zu genügen sie aufgegeben haben? Fühlte sich die Fotografin gar darin mit ihnen verbunden?

»Die Künstlerin bewegte sich in einem Milieu, dessen Existenz gern verleugnet wurde«, heißt es im Klappentext zu ihrem Bildband »Berlin in einer Hundenacht«. Wie man aus ihrer gleichzeitig erschienen Sammlung »Berliner Geschichten« erfährt, hat sie das nicht etwa absichtsvoll gesucht, sie ist von selbst hineingeraten, als sie eine Wohnung in der Berliner Mitte zwischen Volksbühne und Markthalle bekam. In einer »Bruchbude«, in der sie indes »das Herz Europas« spürte.

»Was die gesittete Bürgerwelt verachtete« war seit jeher hier zu Hause gewesen. »Asoziale« - das Wort hielt sich auch zu DDR-Zeiten noch. Die »sozialistische Menschengemeinschaft« wollte schlechte Verhältnisse nicht dulden - und musste es doch. Schlägereien und Geschrei hinter verschlossenen Türen, Gestank, Dreck, Alkohol - man staunt, Gundula Schulze Eldowy wandte sich nicht ab. Aus Neugier, Mitgefühl, ja vielleicht aus einem Grundgespür von Zugehörigkeit hat sie diese Menschen verstanden, von denen jeder irgendwie eigen war, aber viele gezeichnet vom Krieg und alle verloren in Einsamkeit.

Mag Horst die Wohnungstür in Unterhosen öffnen, mag die Nachbarin Alkoholikerin und im Knast gewesen sein, mag Herr Kubiak ihr schamlos nachstellen, sie respektiert jeden, und sie lassen sich von ihr fotografieren. Sie hat keine Angst, allein im Haus des »Alten Schweden« zu übernachten und die verbotene Tür zu öffnen. Da erfährt sie eine haarsträubende Lebensgeschichte.

Eine junge Frau mit offenem Blick, so sieht man sie auf einem Foto im Buch. Als eines Tages ihre Wohnung durchsucht und sie zu einem Verhör abgeholt wird, begreift sie erst später, warum: Sie war, inzwischen schon Fotografin, zu einer Beuys-Ausstellung in der »Ständigen Vertretung« gewesen und hatte sich dort angeregt mit dem persönlichen Referenten des Leiters unterhalten. Glaubten die zahlreich anwesenden Beobachter vielleicht, dass sie seine Geliebte war oder werden würde?

An der Verletzung ihrer Privatsphäre, der Behandlung von oben herab wären andere zerbrochen, Gundula Schulze Eldowy rettet sich in hochfliegende Gedanken über die seelischen Abgründe der Ankläger, über die blinden Flecken der Mitmenschen, für die Künstler den Kopf hinhalten müssen. Kollektiver Wahnsinn, aus dem sie sich heraushalten will - in ihrer Kunst will sie in die Wirklichkeit und in die eigenen Seele tauchen. »Die Art, wie ein Bild zu leben beginnt, wie es eine Strahlung annimmt, die immer bleiben wird, ist nicht von dieser Welt.«

Die Fotos aus dem Band »Berlin in einer Hundenacht« sind lediglich durch Ort und Jahr spezifiziert. Im Band »Am fortgewehten Ort« erfahren wir zu einigen die Geschichten. Nicht aber zu diesem kleinen Mädchen, das auf dem Foto »Berlin, 1987« den Engel spielt und das hinter seiner Stirn etwas verbirgt, was wir nie ergründen. Fortgeweht. Heute ist es eine junge Frau, etwa so alt, wie die Fotografin damals war.

Gundula Schulze Eldowy: Berlin in einer Hundenacht. Fotografien 1977-1990. Ausgabe Deutsch-Englisch. 248 S., geb., 29,90 €.
Am fortgewehten Ort. Berliner Geschichten. 280 S. m. 30 Fotografien., geb., 24,90 €.Beide Lehmstedt Verlag.

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