Debatte um Kündigungsschutz

Italienische Arbeitgeber wollen Arbeitsgesetz ändern lassen

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.
In Italien legt ein Artikel im Arbeitsgesetz fest, dass Kündigungen nur aus triftigem Grund zugelassen sind. Jetzt ist eine heftige Debatte um dessen Abschaffung entbrannt.

»Es ist Wahnsinn, das Gesetz zu ändern. In diesen Krisenzeiten geht es nicht darum, aus der Arbeit auszusteigen, sondern in die Arbeit zu investieren.« Diese wütende Reaktion des Chefs der Demokratischen Partei (PD), Pierluigi Bersani, gilt dem Vorschlag aus Industrie und auch der Regierung Mario Montis, den Artikel 18 des Arbeitsgesetzes ändern oder gar aufheben zu wollen. Dieser Artikel besagt, dass Kündigungen nur mit einem triftigen Grund ausgesprochen werden dürfen. Andernfalls ordnet ein Richter die unmittelbare Rückkehr auf den Arbeitsplatz an. Alternativ können Betroffene eine Abfindung von mindestens 15 Monatsgehältern verlangen, ein Salär, das mit den Arbeitsjahren steigt.

Der Unternehmerverband Confindustria sieht darin ein deutliches Hindernis. Emma Marcegaglia, Chefin der Confindustria und nicht nur wegen ihrer Präsenz bei Marcegaglia Stahl die »Eiserne Lady« genannt, forderte die Regierung auf, im Rahmen des Sanierungsplanes den Artikel 18 des Arbeitsgesetzes aufzuheben.

Proteste dagegen kommen nicht nur aus den Reihen der Demokratischen Partei. Auch die großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL lehnen eine Aufhebung des gültigen Gesetzes ab.

Für Verunsicherung hatte die neue Arbeits- und Sozialministerin Elsa Fornero gesorgt, als sie in einem Interview verkündete, man müsse über alle Fragen der Liberalisierung des Arbeitsmarktes nachdenken. Auf die Nachfrage, ob dies auch den Artikel 18 beträfe, meinte die Ministerin, es gäbe keine Tabus. Erst nach den starken Protesten der Mitte-Links-Parteien und der Gewerkschaften ließ Fornero verkünden, sie sei in eine »journalistische Falle« getappt.

Ein eher schwaches Dementi der Ministerin, betrachtet man die Realität im Lande: Anfang Dezember hatte Sergio Marchionne als Chef von Fiat, dem größten Arbeitgeber Italiens, einen neuen Rahmenvertrag für alle italienischen Standorte geschlossen, der ein weitreichendes Kündigungsrecht und eine starke Einschränkung aller gewerkschaftlichen Möglichkeiten in den Fiat-Werken enthält. Bereits zu Beginn des Jahres hatte sich Marchionne vom nationalen Tarifvertrag und später auch aus der Confindustria verabschiedet. Schon damals warnten Kritiker vor den Folgen, sollten die Fiat-Verträge landesweit Schule machen.

Die jetzige Diskussion um den Artikel 18 zeigt nun für manche, dass Italien auf dem Wege zurück zum kruden Kapitalismus sei. Freilich, die Unternehmen sehen in der Krise eine Chance, ihre Interessen durchzusetzen. Diese Rechnung muss jedoch nicht aufgehen. Denn der Verlust zwar teurer, aber auch erfahrener Arbeitskräfte kann sich negativ auf Wachstum und Innovation auswirken. Gewiss ist, dass die Situation in Italien der Innovation bedurfte, denn laut neuester Angaben des Statistikamtes Istat befindet man sich jetzt schon in der Rezession.

Sowohl Raffaele Bonnani (CISL) als auch Susanna Camusso (CGIL) haben stärksten Widerstand gegen eine Modifizierung oder gar Aufhebung des Artikels 18 angekündigt. Scharfe Kritik kam auch aus den Reihen von Italien der Werte, die sich der Meinung der PD anschloss. Nichi Vendola, Präsident von Apulien und Chef der »Linken, Ökologie und Freiheit« (Sel), hält eine Diskussion über den Artikel 18 für einen »fundamentalen Angriff auf die demokratische Struktur« des Landes, der nicht hingenommen werden könne. Unterstützung bekommt die Politik auch aus den Reihen der Wissenschaft. Pietro Ichino, Professor für Arbeitsrecht an der Universität von Mailand, erklärte, es könne nicht darum gehen, »die Rechte derjenigen zu beschneiden, die Arbeit haben«, sondern man müsse im Interesse des Wirtschaftswachstums Sorge tragen, dass jene wieder in den Arbeitsmarkt zurückfinden, die heute draußen stünden. Einzig und allein die Vertreter der regierenden Mitte-Rechts-Koalition unterstützen die Industrievertreter und wollen das Arbeitsrecht auf den Prüfstand stellen.

Die Regierung Monti, die am vergangenen Donnerstag ihr Sparpaket im Senat mit großer Mehrheit bestätigen ließ, kann sich dennoch nicht auf sicherem Boden fühlen. Nach der Weihnachtspause dürfte Italien ein heißer Winter bevorstehen.

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