Wie gut geht es Polen?

Die Frage nach Reichtum und Armut

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Es war eine bittere Weihnachtsbescherung: Kurz vor dem Heiligen Abend erfuhren die Polen, welche Teuerungen ihnen ab 1. Januar 2012 bevorstehen.

Neben Strom und Gas verteuern sich in Polen - je nach Finanzlage der jeweiligen Gemeinde - alle haushaltsabhängigen Dienstleistungen. Die Zuzahlung für etliche Medikamente wird angehoben, für Kindergärten muss mehr bezahlt werden und durch die Erhöhung der Verbrauchsteuer werden auch Benzin, Rauchwaren und Alkoholika teurer. Die Lage sei ernst, argumentieren regierungsnahe Ökonomen, der Staatshaushalt brauche dringend Mehreinnahmen. Das Haushaltsdefizit von 35 Milliarden Zloty (etwa 8 Milliarden Euro) müsse unbedingt verringert werden, um EU-Auflagen zu erfüllen!

Eine Mitteilung des Statistischen Hauptamtes (GUS) sollte die Polen immerhin trösten: Die Preise und damit die Lebenshaltungskosten seien in Polen bis zu 40 Prozent niedriger als andernorts in Europa. Das demokratische Polen ist nach Auffassung des Wirtschaftsexperten der »Gazeta Wyborcza«, Leszek Maj, seit über 20 Jahren auf dem besten Weg, europäischen Wohlstand zu erreichen. Belief sich das polnische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung zu Beginn der »Transformation« nur auf 43 Prozent des EU-Durchschnitts, so war es bis 2010 um 20 Prozentpunkte gestiegen. In weiteren 20 Jahren wird der Gleichstand mit dem EU-Durchschnitt versprochen.

Ist Polen nun also ein armes oder ein reiches Land? Die Debatte darüber entbrannte im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Regierung, sich mit 6 Milliarden Euro am Rettungsfonds zur Verhütung einer noch größeren Krise im Euroland zu beteiligen. Finanzminister Jacek Rostowski versicherte, die Summe werde den Haushalt nicht belasten, denn sie werde von den im Ausland günstig investierten Devisenbeständen der Polnischen Nationalbank (75 Milliarden Euro) gedeckt. Doch ein Teil der Boulevardpresse hält dagegen, dass Polen damit für Staaten einstehe, die selbst über vier- bis fünfmal so große Reserven verfügen und also viel reicher seien. Für Italien zum Beispiel, das mit fast 2 Billionen Euro verschuldet ist und aus besagtem Rettungsfonds Hilfe erwartet, dessen Bürger aber 3,7 Billionen Euro auf der hohen Kante hätten. In allen südlichen Ländern der Eurozone - so rechnen besagte Blätter vor - verdiene man mehr als in Polen: in Italien das Dreifache, in Spanien mehr als das Zweifache und auch in Griechenland und Portugal doppelt so viel. Die Niedrigstrente, in Polen 164 Euro, sei in Italien viermal und in anderen südeuropäischen Staaten etwa dreimal so hoch. Dabei seien die Preise dort allenfalls 25 bis 30 Prozent, in Italien bis 40 Prozent höher.

Die Frage reich oder arm hat aber auch in Polen selbst eine Dimension: Nach dem jüngsten Bericht des Statistikamtes beziehen die oberen 10 Prozent der Beschäftigten monatlich mehr als 5800 Zloty (1300 Euro). Die 10 Prozent am anderen Ende der Einkommensskala beziehen 1480 Zloty (333 Euro) brutto. Der Durchschnittslohn wird offiziell mit 3540 Zloty (knapp 800 Euro) brutto angegeben. Arbeitslose - derzeit 12,3 Prozent - erhalten drei Monate lang 760 Zloty (170 Euro), danach 590 Zloty (133 Euro).

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.