Wenn Krankheit zum Luxus wird

In Portugal wurden die Gebühren im Gesundheitswesen massiv angehoben

  • Ralf Streck, San Sebastian
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Sparmaßnahmen der portugiesischen Regierung treffen vor allem die Mittelschicht hart.

Das neue Jahr startet für viele Portugiesen gleich zweifach unerfreulich, wenn sie krank werden. Denn wer sich in eine Klinik oder zum Arzt begibt, muss nun hohe »Zugangsgebühren« zur staatlichen Gesundheitsversorgung bezahlen. Damit will die konservative Regierung 100 Millionen Euro einsparen, etwa ein Prozent der gesamten Kosten im Gesundheitswesen. Die Gebühren wurden quasi als »Weihnachtsgeschenk« von der Regierung unter Premier Pedro Passos Coelho im Gesetzesblatt veröffentlicht. Sie gehören zu den Abmachungen, die das Land mit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) im vergangenen Mai vereinbarte, um ein Kreditprogramm von insgesamt 78 Milliarden Euro zu erhalten.

Nun müssen es sich viele Portugiesen dreimal überlegen, ob sie zum Arzt gehen. Fielen in dem südwesteuropäischen Land schon bisher relativ hohe Zuzahlungen an, haben diese sich nun zum Jahreswechsel mehr als verdoppelt. Besonders deutlich schlagen Aufenthalte in den Notaufnahmen der Krankenhäuser durch. Diese können bis zu 50 Euro kosten, wenn eine klinische Untersuchung notwendig wird. Ein einfacher Besuch, für den bisher 9,60 Euro anfielen, kostet nun 20 Euro.

Setzt man diese Gebühren ins Verhältnis zum Lohnniveau, wird deutlich, wie teuer das Gesundheitswesen nun für viele Portugiesen wird. Etwa 40 Prozent der Beschäftigten mussten schon 2010 mit weniger als 600 Euro auskommen und 2011 wurden viele Löhne sogar gekürzt. Da der Mindestlohn lediglich 485 Euro beträgt, kostet ein Gang in die Notaufnahme gut vier Prozent des Monatslohns und kann auf mehr als zehn Prozent anschwellen. Auch ein einfacher Gang zum Hausarzt kostet nun 5 Euro statt bisher 2,20 Euro. Holt man sich ein Rezept ab, ohne behandelt zu werden, kostet das künftig genauso vier Euro wie ein Verbandswechsel, eine Blutabnahme etc. Das war bisher umsonst. Dies gilt auch für die Visite eines Spezialisten im Krankenhaus, die nun fünf Euro kostet. Außerhalb des Krankenhauses kostet ein Gang zum Spezialisten nun 7,50 Euro und der Hausbesuch eines Arztes sogar 10 Euro.

Neben Gewerkschaften hat auch die Verbraucherschutzorganisation DECO gegen die Erhöhungen protestiert. Das von der Verfassung garantierte Recht auf allgemeine und kostenlose Gesundheitsversorgung werde außer Kraft gesetzt. Kritisiert wird, dass es für viele Menschen zum Luxus wird, sich behandeln zu lassen. DECO beklagt, dass damit auch die Vorsorge vernachlässigt und die kurzfristigen Einsparungen das Gesundheitswesen langfristig teuer zu stehen kommen werden.

Die Maßnahmen treffen alle, deren Einkommen über dem Mindestlohn liegen. Schwangere, Kinder, Arbeitslose und Rentner, deren Bezüge unter 485 Euro liegen, sind von den Zuzahlungen befreit. Besonders träfen die Erhöhungen die Mittelklasse, meint daher DECO. Die wurde schon von den bisherigen Sparmaßnahmen besonders getroffen und hat etwa 20 Prozent an Kaufkraft eingebüßt. Mit dem Haushalt 2012 haben die Konservativen weitere Einschnitte beschlossen. Der verringerte Mehrwertsteuersatz auf viele Produkte entfällt, für die nun ebenfalls 23 Prozent erhoben werden. Und die Sondersteuer auf Strom und Gas, erst im vergangenen Herbst eingeführt, steigt weiter.

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