Rüstige Parlamentarier

  • Sabine Lösing
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Autorin ist Europaabgeordnete der LINKEN und unter anderem Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten.
Die Autorin ist Europaabgeordnete der LINKEN und unter anderem Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten.

Mit dem Bericht über die Auswirkungen der Finanzkrise auf den Verteidigungssektor in den EU-Mitgliedstaaten, der am 14. Dezember mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, hat das Europäische Parlament der Rüstungsindustrie ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art unter den Gabentisch gelegt. Darin wird scharf kritisiert, »dass die Mitgliedstaaten im Bereich der Sicherheit und Verteidigung schon seit einem Jahrzehnt zu wenig investieren und ausgeben«. Man beobachte »mit Sorge den zunehmenden Trend der vergangenen Jahre zu Kürzungen in den Verteidigungshaushalten der meisten EU-Mitgliedstaaten infolge der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise«.

Von welchen drastischen Einschnitten meine Kolleginnen und Kollegen im Parlament hier sprechen, ist mir allerdings schleierhaft. Tatsächlich sanken die Rüstungsausgaben der EU-Mitgliedstaaten laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI im Jahr 2010 gegenüber dem Vorjahr nur unwesentlich: Mit 382 Milliarden Dollar liegen sie zudem weiterhin etwa zwölf Prozent über dem Niveau des Jahres 2001. Während also quer über den Kontinent die Sozialhaushalte drastisch zusammengestrichen werden, plädiert die Mehrheit des Parlaments in dem Bericht dafür, mehr Geld in den Rüstungssektor zu pumpen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Im Bericht wird ein »zivil-militärisches operatives Hauptquartier der EU (…) gefordert«, also »die möglichst baldige Einrichtung eines autonomen militärischen Stabs für die operative Planung und Durchführung«. Damit sollen künftige EU-Militäreinsätze reibungsloser durchgeführt werden können. Bislang müssen die Mitgliedstaaten solche »Missionen« noch weitgehend aus eigener Tasche bezahlen, nur geringe Teile können über den sogenannten ATHENA-Mechanismus als gemeinsame Kosten abgerechnet werden. Auch dies soll sich ändern, denn das Parlament fordert, »den Mechanismus so auszuweiten, dass er auch eine gemeinsame Finanzierung für Maßnahmen oder Anschaffungen bietet, die (…) nicht aus dem EU-Haushalt finanziert werden können, insbesondere eine gemeinsame Finanzierung bereitgestellter Ausrüstungen«. Hier wird also eine Art EU-Rüstungshaushalt gefordert, der zu allem Überfluss auch noch der europäischen und nationalstaatlichen parlamentarischen Kontrolle weitgehend entzogen ist. Zudem wird gefordert, den Haushalt für Sicherheitsforschung (noch) mehr als bislang für militärrelevante Aspekte nutzen zu können, wenn gesagt wird, dass »relevante Erfordernisse der Verteidigung in den Programmen und Projekten ordnungsgemäß berücksichtigt werden müssen«.

Angeblich sind diese und weitere Maßnahmen notwendig, um die EU-Militärpolitik effektiver zu machen - effektiver wofür, frage ich mich. Augenscheinlich geht es hier darum, die Militarisierung der Europäischen Union weiter voranzutreiben und sogar mehr Geld in den Rüstungssektor zu leiten. Es geht also darum, »effizienter« Krieg führen zu können - mit mehr Ausrüstung und mit mehr Geld!

Wieder einmal wird hier Politik über die Köpfe der Menschen hinweg gemacht. Die große Mehrheit der europäischen Bevölkerung spricht sich für drastische Kürzungen bei den Rüstungshaushalten aus, anstatt die Sozialausgaben immer weiter zu senken - in Deutschland waren es bei einer Umfrage überwältigende 82 Prozent. Davon will die Mehrheit im Europäischen Parlament aber leider nichts wissen. Dass dies auch noch mit angeblichen Sparzwängen gerechtfertigt wird, setzt dem allen noch die Krone auf. Die Alternative dazu liegt auf der Hand: Wer wirklich sparen will, rüstet ab!

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