Getarnte Lebenswelten

Porträtmalerei und fotografische Selbstporträts zeigt das Schwule Museum

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Langzeitprojekt: Boris von Brauchitsch beobachtete 25 Jahre seine Alterung.
Langzeitprojekt: Boris von Brauchitsch beobachtete 25 Jahre seine Alterung.

Sie läuft parallel und in Ergänzung zur »Gesichter«-Schau im Bode-Museum. Auch die gar nicht so kleine und überaus feine Ausstellung im Schwulen Museum zeigt »Portraits«, so der Titel, freilich unter bestimmten Gesichtspunkten und, im Gegensatz zur »großen« Schau, die sich auf die Renaissance konzentriert, quer durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart. Ob die explizite Fragestellung nach einer schwulen Kunst sinnfällig ist oder nicht: Unter den Künstlern und ihren Modellen gab es stets auch Schwule, die sich zu manifestieren suchten. Dies allerdings mit aller gebotenen Vorsicht und Verschlüsselung des Sujets.

So lässt sich aus den Porträts um 1600, und dort setzt die Schau in den beiden Räumen des Parterres ein, natürlich nicht mehr herauslesen als Hinweise auf die geltende Mode und allgemein die Sicht auf den Menschen, wie die 100 überwiegend Ölgemälde aus Privatbesitz respektive den Museumsbeständen sie spiegeln. Aus der als moderat gepriesenen Renaissance weiß man, wie es etwa Geoffrey Chaucers »Canterbury Tales« schildern, dass Schwule den Feuertod starben, und dies bis ins 18. Jahrhundert. Ein Kupferstich von 1610 stellt die Verbrennung sodomitischer Mönche dar. Geschützt waren Prominente, Michelangelo, Leonardo oder Henri III, auch er im Stahlstich vertreten. Während der »spanischen« Epoche, im 17. Jahrhundert, mit ihrer starren schwarzen Mode wurden zumindest Perücken und Langhaar zum männlichen Statussymbol, wie Darstellungen von Kavalieren und Edelmännern ausweisen. Zuverlässige Zeitzeugin für die Toleranz am Hofe Ludwigs XIV. wurde Liselotte von der Pfalz, verheiratet mit dem schwulen Bruder des Königs. In zahlreichen Briefen beschreibt sie das freizügige Hofleben, das Vorbild für andere Höfe wurde, so des Niederländers Wilhelm von Oranien. In Preußen setzte Friedrich II. Strafen wegen Homosexualität 1740 außer Kraft, vielleicht auch zugunsten seines Bruders Heinrich. Wie verschieden jene beargwöhnte sexuelle Ausrichtung behandelt wurde, zeigen weitere Darstellungen: vom Spion Marquis d’Eon, der in Frauenkleidern agierte; von Emanzen und Homosexuellen, die man in Irrenhäuser sperrte; vom schrill und bös lachenden Boy mit Orangenzweig als Zerrbild des verunsicherten Schwulen. Der bürgerliche Mann indes ließ sich seriös abbilden und ging dann ins Bordell.

Wieder waren es Berühmtheiten, die unter Sonderrecht standen, Winckelmann, Iffland, Humboldt, jener Minister Cambacérès, der im Code Civil keine Bestrafung Homosexueller vorsah. Rimbaud und Verlaine als skandalumwittertes Freundespaar stehen im Stahlstich von 1872 für namenlose Paare, Ludwig II. von Bayern darf nicht fehlen, im Foto tauchen Soldaten und ihre Verehrer auf. Im Zug der Lebensreformbewegung wird die Jugend kühner, Wilde und Hirschfeld trugen dazu ebenso bei wie Munch, Slevogt, Kirchner, die ihre schwulen Mäzene malten. Beardsley zeichnet seine Fantasien, Proust geht mit Lucien Daudet, dem Sohn des Schriftstellers, Frauen kleiden sich burschikos: George Sand, Marlene Dietrich. Freundespaare werden Sujet in Öl, Bronze und Grafik. Ein Drittel der inhaftierten Homosexuellen nach 1933, liest man in der Ausstellung, waren Mitglied der NSDAP, 50.000 Schwule insgesamt wurden interniert. Tänzer wie der Revuestar Richard Barnack, Arbeiterkind aus Kreuzberg, kamen dabei zu Tode.

In die Gegenwart springt die fortführende Exposition im zweiten Stock. »(Selbst-)Portrait« heißt sie und offeriert die manische Suche nach dem eigenen Ich oder dem, was befreundete Künstler davon wahrnehmen. Rund 25 Fotografen, Maler, Plastiker stellen schwule Lebenswelten aus, inszenieren sich selbst oder andere. Boris von Brauchitsch hat sich über 25 Jahre des Alterns selbst abgelichtet. Größter Komplex sind die Exponate, die den Hamburger Jan-Holger Mauss im Bikini fixieren, ob im Foto oder aus Knete

Bis 16.1., Schwules Museum, Kreuzberg, Tel.: (030) 69 59 90 50

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