Die versoffene Ikone

»The Real American« - Joe McCarthy von Lutz Hachmeister

  • Ralf Schenk
  • Lesedauer: 4 Min.

Er war ein Bauernsohn aus Wisconsin, jobbte in seiner Jugend als Tankwart und Hühnerzüchter, machte spät das Abitur, studierte Jura und zog 1942 als Freiwilliger an die Front. Als er wiederkehrte, kürte ihn die Partei, die für ihn zur politischen Heimat geworden war, zum Überraschungskandidaten für den US-Senat. Zunächst blieb er Hinterbänkler. Doch dann, 1950, wollte er gern wiedergewählt werden, brauchte ein Thema und kam auf den Antikommunismus. Der war Mode geworden im Amerika des Kalten Krieges. Stalins Sowjetunion galt als Hauptfeind Nr. 1. Mao ließ China in roten Farben erstrahlen. Die »Komitees gegen unamerikanische Umtriebe«, die jede Bewegung nach links mit Hass verfolgten, arbeiteten schon seit Jahren auf Hochtouren. Richard Nixon, einer der Chefinquisitoren, wurde für den Farmersohn aus Wisconsin zum großen Vorbild. Ihn wollte er einholen und überholen: Die Rede ist von Joe McCarthy (1909-1957).

McCarthyismus ist noch heute ein Schlagwort für die Linkenhatz von damals. Wer aber war der Mann, der sich auf diese Weise ins Buch der Geschichte einschrieb? Welche gesellschaftlichen Kräfte spülten ihn nach oben? Was prädestinierte ihn zum Hexenjäger? Und warum verschwand er Mitte der 1950er Jahre, als der Kalte Krieg noch lange nicht zu Ende war, bereits von der Bildfläche? Lutz Hachmeister beantwortet diese Fragen in seinem Film »The Real American - Joe McCarty«: eine Geschichtsstunde, die nicht bloß der vollendeten Vergangenheit verhaftet bleibt, sondern als Gleichnis auf gegenwärtige Prozesse in den USA interpretiert werden kann: Die Tea-Party-Bewegung nebst Sarah Palin ist, mitsamt ihren provinziellen Denkmustern, gar nicht so weit entfernt von ihrem zur politischen Ikone erstarrten Vorbild.

Hachmeister, Jahrgang 1959, Kommunikationswissenschaftler und langjähriger Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, kennt sich in Politik, Zeit- und Mediengeschichte aus: Für seinen Film hat er mehrere Jahre recherchiert, weitgehend unbekannte Dokumentaraufnahmen aus Archiven geborgen, Zeitzeugen wie den frühen US-Außenminister Henry Kissinger oder den Watergate-Aufdecker Carl Bernstein vor die Kamera geholt. Aus ihren Reminiszenzen ersteht das Bild eines publicitysüchtigen Karrieristen und hysterischen Opportunisten, der »nicht immer wusste, worüber er überhaupt redet« (Bernstein) und der glaubte, in den führenden US-amerikanischen Institutionen, bei der CIA, in der Regierung, in der Armee, Heerscharen von kommunistischen Agenten entlarven zu müssen. Hachmeister führt diese Paranoia auch auf den erbitterten Widerstreit zwischen dem relativ liberalen Amerika der Ostküste und dem konservativen des mittleren Westens und des Südens zurück. Dieses Doppelgesicht kennzeichnet die USA bis hinein ins 21. Jahrhundert; die Obama-Administration kann ein Lied davon singen.

Ausführlich rekonstruiert Hachmeister den Sturz McCarthys. Als Eisenhower 1952 zum Präsidenten gewählt wurde und der geifernde Senator damit begann, die US-Army als kommunistisch durchsetzt zu schmähen, gab ihn das Weiße Haus zum Abschuss frei. Die Schwachstelle, die McCarthy angreifbar machte, war sein homosexueller Chefassistent Roy Cohn, der Druck auf die Armee ausübte, um seinen Freund vorzeitig vom Militärdienst loszueisen. Das kam ans Tageslicht. Plötzlich sah sich der Senator selbst auf der Anklagebank. Nachdem er seine Macht eingebüßt hatte, soff er sich binnen Kurzem zu Tode. Sogar das Baby, das er und seine Frau als Adoptivkind annahmen, tröstete ihn nicht über den Verlust seiner Stellung hinweg.

All dies bereitet der Film in einer klugen Symbiose aus dokumentarischem Material und Interviews auf. Wären da bloß nicht die nachgestellten, in Sepiafarben gehaltenen Spielszenen aus dem Leben des destruktiven, gefährlichen Populisten! Die machen »The Real American« zwar kompatibel für den US-amerikanischen und britischen TV-Markt, wo solche Stilmittel gang und gäbe sind, wirken aber mitunter so einfältig und von einzelnen Darstellern leider auch schlecht gespielt, dass sie dem Film mehr schaden als nutzen. Was bringt es, den jungen McCarthy mit Freunden von einer Brücke in den See springen zu sehen? Die selbst auferlegte Mutprobe eines Nichtschwimmers als Metapher für einen auch selbstzerstörerischen Ehrgeiz? Später erschöpfen sich die Spielszenen in halbdunklen Diskussionsrunden zwischen McCarthy und seinen Jüngern bei Zigarettenqualm und Schnaps. Zur Ergänzung dessen, was in den Zeitzeugen-Interviews mitgeteilt wurde, trägt das kaum bei; im Gegenteil: Es wirkt redundant.

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