Arme Menschen sterben früher

Der Deutsche Caritasverband startet Kampagne »Armut macht krank«

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Von Armut bedrohte Menschen haben überdurchschnittlich oft einen schlechten Gesundheitszustand. Dies belegen zahlreiche Studien. Der Deutsche Caritasverband will nun mit seiner Kampagne »Armut macht krank« auf die Situation der Benachteiligten aufmerksam machen.
Zerschlissener Schuh eines Obdachlosen
Zerschlissener Schuh eines Obdachlosen

Deutschland gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Doch die Vermögen sind ungleich verteilt. Inzwischen können sich viele Menschen hierzulande nicht einmal mehr einen guten Gesundheitszustand leisten. Die Lebenserwartung einer Frau aus der Armutsrisikogruppe, die also 60 Prozent oder weniger des mittleren Einkommens der Bevölkerung zur Verfügung hat, liegt rund acht Jahre unter der von Frauen, die zu einer hohen Einkommensgruppe gehören. Bei Männern beträgt der Unterschied sogar elf Jahre. In Deutschland gelten rund 12,6 Millionen Menschen als armutsgefährdet.

Auf die Schwachstellen und ungenügenden Zugänge im Gesundheitssystem für ärmere Menschen will nun der Deutsche Caritasverband mit seiner gestern gestarteten Kampagne »Armut macht krank« aufmerksam machen. Der katholische Wohlfahrtsverband richtet sich dabei mit konkreten Forderungen an die Bundespolitik. »Wir wollen, dass die Praxisgebühr abgeschafft wird«, erklärte Präsident Peter Neher vor Journalisten im Franziskanerkloster in Berlin-Pankow. Denn wer seinen Lebensunterhalt mit Arbeitslosengeld II bestreitet, muss genau überlegen, wofür er das wenige Geld überhaupt ausgeben kann. »Dies führt unter anderem dazu, dass notwendige Arztbesuche aufgeschoben werden, um die Praxisgebühr zu sparen«, so Neher. Im vergangenen Jahr bezogen durchschnittlich 4 617 266 Personen Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV genannt.

Zudem seien nicht verschreibungspflichtige Medikamente, Fahrtkosten, Kosten für eine Brille oder Krankengymnastik für viele Menschen schwer finanzierbar. Kritik übte der Caritas-Chef auch an den Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen, die in den vergangenen Jahren eingeführt beziehungsweise ausgeweitet wurden. Diese würden die Menschen im Armutsrisiko abschrecken. »Die Befreiungsregelung bei Zuzahlungen für Medikamente und Heil- beziehungsweise Hilfsmittel muss unbürokratischer gestaltet werden«, forderte Neher. Wohnungslose und Schwerbehinderte müssten grundsätzlich freigestellt werden.

Vergangenes Jahr hatten 248 000 Menschen in der Bundesrepublik keine Wohnung. Etwa 22 000 haben auf der Straße gelebt. Dies wirkt sich auch auf ihren Gesundheitszustand aus, der häufig katastrophal ist. Männliche Obdachlose werden im Durchschnitt gerade einmal 46 Jahre alt. Oft »verschleppen« sie Krankheiten, die nach Angaben der Caritas gut zu behandeln wären. Um die Situation der Wohnungslosen zu verbessern, will der Wohlfahrtsverband die »niedrigschwelligen Angebote« ausbauen. Dazu gehören Straßenambulanzen, die nach dem Willen der Caritas über die gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden sollen. Der Verband leistet mit seinem »Arztmobil« selbst medizinische Versorgung für Wohnungslose.

Zu den im Gesundheitssystem benachteiligten Gruppen zählen auch Asylbewerber. Sie sind nicht krankenversichert. Bei akuten Erkrankungen, Schmerzen, Schwangerschaft und Geburt haben sie allerdings einen Rechtsanspruch auf ärztliche Behandlung. Ansonsten stehen Behandlungen im Ermessen der Behörden. Der Caritasverband will, dass »Asylsuchende, geduldete Personen und Menschen mit einem humanitären Aufenthaltstitel zur gesundheitlichen Regelversorgung einen Zugang haben«.

In einer besonders schwierigen Lage sind kranke Menschen, die illegal in Deutschland leben. Denn für sie kann ein Arztbesuch die Abschiebung zur Folge haben. Öffentliche Stellen sind nämlich dazu verpflichtet, den illegalen Aufenthalt von Migranten zu melden. Dies gilt auch für Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft. Vielen Flüchtlingen droht in ihren Heimatländern Ausgrenzung oder Verfolgung. Dagegen forderte Neher, »dass Menschen, die illegal in Deutschland leben, ihre Daten nicht preisgeben müssen, wenn sie einen Arzt brauchen«.

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