Unheimlicher Kurssprung

In Wiesbaden stehen Klinik-Privatisierungen an - Kritiker machen mobil

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 4 Min.
In Hessens Hauptstadt Wiesbaden sollen die Stadtverordneten am 9. Februar über die Teilprivatisierung kommunaler Kliniken abstimmen. Ein Aktionsbündnis will gegen die Pläne ein Bürgerbegehren organisieren.

Der Widerstand gegen die von der örtlichen CDU-SPD-Rathauskoalition geplante Teilprivatisierung der kommunalen Dr. Horst Schmidt-Kliniken (HSK) in Wiesbaden soll in der Form eines Bürgerbegehrens fortgesetzt werden. Dies ist das Ergebnis einer Zusammenkunft des Aktionsbündnisses für eine kommunale HSK, in dem sich privatisierungskritische Beschäftigte, Gewerkschafter, Bürger und Kommunalpolitiker zusammengeschlossen haben. Am Wochenende hatten lokale Medien berichtet, dass die Stadtverordnetenversammlung bereits am 9. Februar über den Verkauf von 49 Prozent der HSK-Anteile an einen privaten Klinikkonzern abstimmen soll.

Schwelle wurde gesenkt

In der Einleitung des Bürgerbegehrens sehen die Initiatoren die einzige Chance, um den Vollzug des erwarteten Verkaufsbeschlusses zu stoppen. Sollten sich binnen acht Wochen mindestens drei Prozent der Wahlberechtigten in der Landeshauptstadt per Unterschrift dem Begehren anschließen, käme es zum Bürgerentscheid, also einer Volksabstimmung über das Privatisierungsprojekt. Damit hätte die Wiesbadener Bevölkerung das letzte Wort.

Den Initiatoren kommt eine zum Jahreswechsel in Kraft getretene Änderung der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) zugute. So wurde das Quorum für die Einleitung von Bürgerbegehren in Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern von bisher zehn Prozent auf drei Prozent abgesenkt. Gleichzeitig wurde die Frist für die Sammlung von Unterschriften von sechs auf acht Wochen angehoben. Bei der dann folgenden zweiten Stufe, dem Bürgerentscheid, benötigen die Initiatoren allerdings nach wie vor die Stimmen von 25 Prozent aller Wahlberechtigten.

Ermutigende Beispiele

Organisatorische Details des Bürgerbegehrens sollen bis Monatsende geklärt sein. Solidarität signalisierten inzwischen auch Betriebsräte und Untergliederungen anderer Gewerkschaften. Hoffnung schöpfen die Unterstützer des Bürgerbegehrens auch aus Erfahrungen mit ähnlichen erfolgreichen Initiativen in anderen Bundesländern. So sprachen sich Ende 2009 im Rottal-Inn-Kreis (Niederbayern) in einem Bürgerentscheid rund 90 Prozent gegen den Verkauf von drei Kreiskrankenhäusern an den Rhön-Konzern aus.

Im Landkreis Meißen (Sachsen) verhinderte 2006 ein erfolgreiches Bürgerbegehren den Ausverkauf der kommunalen Elblandkliniken. Dessen Unterstützer sammelten die Unterschriften von über 33 000 Bürgern, etwa 27 Prozent aller Wahlberechtigten. Nach der sächsischen Gemeindeordnung mit ihren sehr hohen Hürden hätten rund 18 600 Unterschriften genügt. Landrat und bürgerliche Kreistagsmehrheit wollten es danach nicht mehr auf einen Bürgerentscheid ankommen lassen, machten den Verkaufsbeschluss rückgängig und verzichteten auf weitere Privatisierungspläne.

Die Wiesbadener Bündnis-Aktivisten, die sich im Internet unter www.hsk-pro-kommunal.de zu Wort melden, kritisieren die HSK-Verkaufspläne als »Wortbruch«, weil CDU und SPD, die Koalitionsparteien im Rathaus sowie OB Helmut Müller (CDU) vor der Kommunalwahl eine Teilprivatisierung ausgeschlossen hätten.

Als mögliche Käufer noch im Rennen sind die Konzerne Helios, Sana und Rhön. Dass die Rhön Klinikum AG als Favorit im Bieterverfahren gilt, geht auch aus einem Kurssprung der Rhön-Aktien an der Börse hervor, der Ende letzter Woche als Reaktion auf erste Meldungen über einen Zuschlag für Rhön einsetzte. Der Rhön-Konzern hat vor wenigen Jahren bereits das Universitätsklinikum Marburg-Gießen übernommen und besitzt in Wiesbaden mit der Deutschen Klinik für Diagnostik (DKD) und der Aukammklinik bereits wichtige Stützpunkte. Mit dem Einstieg des Konzerns in die HSK werde es umfangreiche »Synergien« geben, berichtete die Lokalpresse.

Zu Lasten der Patienten

Ohne die schriftlichen Angebote und Vertragsentwürfe des Rhön-Konzerns überhaupt gelesen zu haben, gaben die örtlichen SPD-Gremien am Montagabend grünes Licht für den Mega-Deal. Sie feierten ihren Unterbezirksvorsitzenden und Bürgermeister Arno Goßmann als »erfolgreichen« Unterhändler, der große Summen privaten Kapitals an Land gezogen habe. Goßmann hatte im Frühjahr 2011 in der neuen Koalition mit der CDU die Aufgabe eines Klinikdezernenten übernommen und den Privatisierungsprozess eingeleitet.

Die Privatisierungskritiker hingegen sehen in dem Kurssprung einen »Ausdruck hoher Renditeerwartungen der Rhön-Aktionäre auf dem Rücken der Beschäftigten«. Leidtragende dabei seien vor allem auch die Patienten. Meldungen aus dem privatisierten Universitätsklinikum Marburg-Gießen über eine massive Leistungsverdichtung und Zunahme der Arbeitsbelastung dürften diese Warnungen bestätigen.

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