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Inzestuöse Reproduktion der Eliten

  • Lesedauer: 2 Min.

Die Geigerin Anne-Sophie Mutter hat dem gegliederten deutschen Schulsystem die Leviten gelesen. Nicht explizit, doch zwischen den Zeilen. In Deutschland, so Mutter, sei die Förderung junger Musiker nur mangelhaft ausgeprägt. Nachwuchsmusiker würden unzureichend gefördert. Im Fokus ihrer Kritik steht nicht der Musikunterricht an den höheren Bildungsanstalten, den Gymnasien. Dort sei das Niveau »sehr hoch«, sagt die Geigerin. Bedrohlich schlecht sei dagegen die musikalische Ausbildung an den Haupt- und Realschulen.

Mozart, Beethoven oder Ravel an Haupt- und Realschulen? Eine auch zehn Jahre nach dem PISA-Schock noch irritierende Vorstellung, die so ganz und gar nicht in die Begabungsphilosophie hiesiger Bildungspolitik passen will. Haupt- und Realschulen sind nach ihrem Selbstverständnis, vor allem aber nach der vorherrschenden bildungspolitischen Doktrin auf die Herausbildung berufspraktischer Fähigkeiten ausgerichtet. Nicht von ungefähr werden z.B. die Sekundarschulen in Berlin von akademisch gebildeten Eltern für ihre Kinder in der Regel nur im Notfall (d.h. wenn die Zensuren am Ende der Grundschule allzu schlecht sind) ausgewählt. Und das, obwohl auch die Sekundarschulen zum Abitur führen. Das grundständige Gymnasium ist und bleibt für das Bildungsbürgertum (und die aufstrebenden Kleinbürger) die bevorzugte Schule. Ihre Kinder müssen nicht an klassische Musik herangeführt werden, sie wachsen mit dieser Musik auf. Musikalische Talente aus Harzt-IV-Familien bleiben dagegen meist unerkannt - und ungefördert!

Anne-Sophie Mutter benennt mit ihrer Kritik am Musikunterricht das Kernproblem deutscher Bildungspolitik - die inzestuöse Reproduktion der Eliten.

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