Bestellen und bezahlen

Noch immer verfügt der Bund gesetzliche Maßnahmen, deren Kosten die Kommunen treffen

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
2011 hat der Bundestag beschlossen, den Betreuungsschlüssel in den Jugendämtern zu halbieren. Doch die Kosten treffen die ohnehin klammen Kommunen, weil sie angeblich nicht zu beziffern sind. Ein typisches Beispiel für das Verhältnis zwischen Bundes- und Ortsebene, meint die Bundestagsabgeordnete Katrin Kunert.

Die Bedingungen in und die Arbeitsresultate von deutschen Jugendämtern sind nach den jüngsten bekannt gewordenen Kindestoden in Berlin und Hamburg erneut in den Schlagzeilen. Doch scheint die Bundesregierung für das üblicherweise folgende Schwarzer-Peter-Spiel gut gerüstet. Untätigkeit muss sie sich nämlich nicht vorhalten lassen: Hat der Bundestag doch bereits im April 2011 beschlossen, den Betreuungsschlüssel in den Jugendämtern von 100 »Fällen« pro Bearbeiter auf 50 zu senken.

Ist es wirklich so einfach? Die LINKE-Bundestagsabgeordnete Katrin Kunert widerspricht: Gerade das Beispiel mit dem Betreuungsschlüssel im Jugendamt zeige, wie sich der Bund aus der Verantwortung stiehlt. Für den Kreis Stendal zum Beispiel, der zu ihrem Wahlkreis gehört, verursache die Maßnahme jährliche Mehrkosten von etwa 150 000 Euro. Es müssten drei neue Vollzeitstellen geschaffen werden, um die im Bund beschlossene Maßnahme umzusetzen. Doch mit den Kosten stehe der Kreis alleine da.

»Die derzeitige Gesetzgebung im Bundestag ist eine Einbahnstraße zu Lasten der Kommunen«, kommentiert die Kommunalexpertin. Dabei sollte eigentlich genau das von der Föderalismusreform 2006 verhindert werden. Bis dahin konnte der Bund Aufgaben verteilen, ohne für eine entsprechende Finanzierung zu sorgen. Doch auch nach der Reform von 2006 habe sich daran nichts Entscheidendes geändert. De facto funktioniere das Weiterreichen der Kosten nach wie vor bestens.

Im Fall des Betreuungsschlüssels argumentiert die Bundesebene laut Kunert, dass »die Kosten angeblich nicht genau zu beziffern sind« und deshalb nicht übernommen werden könnten. Wenn es die Absicht der Föderalismusreform gewesen sein sollte, eine Klare Zuordnung zwischen »Bestellen« und »Bezahlen« herzustellen, »funktioniert es einfach nicht«. Das Dreiecksverhältnis von Bund, Ländern und den Kreisen und Kommunen sei mehr denn je von Unklarheiten und Intransparenz geprägt: »Die Bürger können gar nicht mehr wissen, wer eigentlich für was verantwortlich ist.«

»Deshalb«, so Kunert, »zahlt die Kommune in solchen Fällen drauf - mit viel Geld, das dann an anderer Stelle fehlt.« Die Fraktion der LINKEN fordert daher schon länger einen »Kommunal-TÜV« für alle Gesetze des Bundestags: Sie müssten darauf abgeklopft werden, welche finanziellen Auswirkungen sie in den kommunen haben - und das zusätzliche Geld müsse diesen dann auch zukommen. Das einfache Prinzip: Wer bestellt, bezahlt, müsse endlich in der Politik verankert werden; einen solchen Grundsatz der »Konnexität« würde Kunert am liebsten im Grundgesetz sehen - wie auch ein »einklagbares Mitwirkungsrecht« der Kommunen an auf sie wirkenden Entscheidungen, das auch Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch am Diebstag erneut forderte. Neben einem Entschuldungsfonds für Kommunen, die aus der Abwärtsspirale nicht mehr herauskommen.

Welche Art von Schwierigkeiten bundespolitische Entscheidungen darüber hinaus konkret auf kommunaler Ebene verursachen können, riefen am Dienstag LINKE-Bürgermeister und Kommunalpolitiker aus allen Ecken der Republik in Erinnerung, die bei der Bundestagsfraktion zu Besuch waren. Die Schweriner Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow berichtete beispielsweise Details aus der Umsetzung des »Bildungs- und Teilhabepaketes« von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen: Um an eine verbilligte Fahrkarte für den Schulweg zu kommen, müssen die Eltern erst 11 Euro an die Kommune überweisen, um dann 28 Euro zurückzubekommen - freilich erst, nachdem die Kommune überprüft hat, ob die Schule tatsächlich die für Grundschule im Gesetz geforderten zwei bzw. bei Sekundarschulen vier Kilometer vom Elternhaus entfernt liegt. All das verursacht Aufwand und Kosten. Ein »bürokratisches Monster« nennt Gramkow daher das Leyen-Paket.

Hinzu kommt, dass Kommunen zunehmend als Subventionsstelle für Niedriglohnverhältnisse missbraucht werden. Im Normalfall schlägt sich ein Wirtschaftsaufschwung kommunal bereits durch das Weniger an aufzubringenden Sozialleistungen auf der Haben-Seite nieder - doch gerade in strukturschwachen Gebieten im Osten ist dieser konjunkturelle Mechanismus tendenziell außer Kraft, wie die LINKE-Landtagsabgeordnete Jeannine Rösler im vergangenen Herbst errechnet hat: Wo sich der Arbeitsmarkt in Richtung Armutsrente und Aufstocker-Jobs entleert, kann selbst im Aufschwung das lokale Sozialbudget wachsen. Für wirksame Maßnahmen gegen die wirtschaftliche Misere fehlt vor Ort dann erst recht das Geld. Unter diesen Umständen seien die kommunalen Haushalte nicht auszugleichen, meint auch Erkan Kocalar, stellvertretender OB in Duisburg. Er fordert, dass der Bund nicht erst - wie geplant - zum Jahr 2014 die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu 100 Prozent übernimmt, sondern sofort. Rund 25 Millionen würde allein dies dem armen Duisburg bringen.

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