Stiller Widerstand

Im vom Rotstift bedrohten Theater unterm Dach wird »Bartleby« ohne Gagen gespielt

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Gesicht des Widerstands
Das Gesicht des Widerstands

Ein melancholisches Verweigerungsnest etabliert Luzius Heydrich mit seiner Produktion »Bartleby« im derzeit sehr umkämpften Theater unterm Dach. Ihm gelingt nicht nur eine Verknüpfung der Geschichte des passiv rebellischen Wall Street-Schreibers, die vor ca. 150 Jahren von Herman Melville aufgezeichnet wurde, mit der aktuellen Occupy-Bewegung. Die Haltung des »So nicht weiter«, die der literarische Protagonist verkörpert, lässt sich auch prima auf die Protestaktionen gegen die drohende Schließung des Theaters unterm Dach selbst übertragen.

Aber zunächst zur Inszenierung: In einem zarten, hellen, mit Papier bespannten Kasten sitzt ein Kanzleichef (Endre Holeczy) und sinniert über das Schicksal seines Angestellten Bartleby. Der taucht, mit einer Feder bewaffnet, als Schattenriss im Hintergrund auf. Auch als er die Bühne betritt, ist seine Fleischlichkeit aufgrund der Weißfärbung des Gesichts sehr zurückhaltend. Bartleby (Johannes Karl) bleibt schemenhaft - ein Geist, ein Gespenst, ein weißer Schatten der Erinnerung.

Heydrich reichert dieses poetische, an frühe expressionistische Bühnenwerke erinnernde Arrangement dann mit der Geschichte des fleißigen und genügsamen Schreibers an. Bartleby bedeckt die Wände mit Zahlenkolonnen. Doch plötzlich steigt er aus dem System aus. »Ich würde lieber nicht...« wird zu seiner typischen Floskel, wenn er mit Aufforderungen zur Arbeit, später auch zur Auskunft über seine Befindlichkeit und zuletzt zum Verlassen des Arbeitsorts konfrontiert wird. Er äußert diese Absage aber so höflich und bar jeder Aggressivität, dass sein Chef sich außerstande sieht, sich von diesem irritierenden Geschöpf zu befreien. Vielmehr verstrickt er sich selbst in verzehrende Überlegungen über die psychischen Zustände Bartlebys.

So viel Zuwendung seitens eines Arbeitgebers wirkt im ersten Moment lebensfremd. Aber die Empathiefähigkeit des Kanzleichefs erweckt die Ahnung, dass auch das Personal höherer Hierarchieebenen durchaus nicht immer dem Klischeebild des kalten Entscheiders entsprechen muss, sondern auch selbst über eine humane Konstitution verfügen kann. Dass es ein prekäres Gleichgewicht zwischen den Akteuren geben kann, verdeutlicht eine Balanceeinlage, in der der eine den anderen auf den Rücken nimmt.

Später erobern die weiße Maske der Occupy-Bewegung sowie Videoeinspielungen marschierender Demonstranten die Bühne. Diese Kopplung verblüfft zunächst. Sie hat aber auch gewisse Berechtigung. Nicht nur ist der Schauplatz Wall Street der gleiche. Wie der rätselhafte Individualverweigerer Bartleby steigt auch Occupy aus der herrschenden Effizienzlogik aus. Beide stellen das System infrage. Sie besetzen einen Raum und kreieren eine Atempause in den drängenden Funktionsabläufen. Bartleby als scheuer, seltsamer Aussteiger wird so zur poetischen Referenz einer politischen Bewegung. Seine Figur erinnert freilich auch daran, dass ein Minimum an Empathie und Dialogbereitschaft Voraussetzung für die Wirksamkeit ist.

Der Entschluss der Künstler, im Theater unterm Dach trotz Streichung der Honorarmittel weiterzuspielen und so der lautlosen Schließung Widerstand zu leisten, setzt auf ein Minimum an Dialogbereitschaft auf Seiten des Bezirksamtes. Die Eckdaten unterstreichen die Absurdität einer Schließung: Die zur Debatte stehenden disponiblen Mittel des Theaters betragen ca. 40 000 Euro. Mit diesem Geld - sowie den Gehältern von Theaterleitung und Technikern plus Mietzahlung - stellt das Theater jährlich einen auch überregional beachteten Spielplan auf die Beine. Mit der Einsparung von 40 000 Euro würde aber nicht nur diese Spielstätte schließen. Auch die Kompetenz der Angestellten, die gleichwohl an anderer Stelle weiter beschäftigt werden, ginge verloren. Der sehr bescheidene »Hebel« von 40 000 Euro hätte also nachhaltige negative Folgen.

Zur Beschlussfassung des Haushaltsentwurfs des Bezirks am 15.2. ab 18 Uhr hat das Aktionsbündnis Berliner Künstler zum Protest aufgerufen.

11., 12. 2., 1.-4.3. Theater unterm Dach, www.aktionsbuendnis-berliner-kuenstler.de

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