Indirekte Kür

Von der Wahl ihres Staatsoberhauptes sind die Deutschen ausgeschlossen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 2 Min.
Nur die 1240 Mitglieder der Bundesversammlung entscheiden, wer in Deutschland Staatsoberhaupt wird.

In Deutschland wird das Staatsoberhaupt nicht vom Volk gewählt, sondern von den derzeit 1240 Mitgliedern der sogenannten Bundesversammlung. Hier sitzen neben 620 Bundestagsabgeordneten ebenso viele Delegierte aus den Ländern. Die Wahl selbst ist geheim. Ein wenig Glanz gewinnt die Prozedur durch die Wahlmänner und -frauen aus den Ländern. Da diese nicht unbedingt Mitglied des Landtags sein müssen, schicken die Parteien öfter mal Prominenz aus Sport und Kultur nach Berlin. So entsandte die SPD zur letzten Wahl im Jahre 2010 den Schauspieler Walter Sittler und den Sänger der Popband »Die Prinzen«, Sebastian Krumbiegel. Und weil alle in den 16 Länderparlamenten vertretenen Parteien Wahlleute bestimmen dürfen, saßen im Saal auch Vertreter der rechtsradikalen NPD, des Südschleswigschem Wählerverbandes (SSW) und der Freien Wähler (FW) aus Bayern. In diesem Jahr werden erstmals auch zwei Piraten aus Berlin dabei sein.

Wie viele Wahlleute ein Bundesland entsenden darf, ergibt sich aus den aktuellen Daten zur Bevölkerungsentwicklung. Sind die Kontingente berechnet, wird in den Landtagen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl entschieden, wer zur Bundesversammlung in den Berliner Reichstag geschickt wird. Ein einheitliches Verfahren dafür existiert nicht.

Je nach Bundesland gibt es entweder eine nach Fraktionen gegliederte, gemeinsame Liste des Parlaments oder aber gemeinsame Listen einzelner Fraktionen bzw. je Fraktion eine eigene Liste. Da Joachim Gauck der gemeinsame Liebling von Union, FDP, SPD und Grünen ist, kommt der hochkomplexen Wahlarithmetik diesmal kaum Bedeutung zu.

Im Zuge der Diskussion um die Wulff-Nachfolge wurden wieder Stimmen laut, die eine Direktwahl des Staatsoberhauptes forderten. So fragte der Leipziger Verfassungsrechtler Christoph Degenhart, ob es nicht doch eine Wahl durch das Volk geben könne: »Ein Bundespräsident sollte über alle Parteien hinweg respektiert, aber nicht politisch schwach sein.« Der Präsident, so Degenhart, sollte ein »Gegengewicht zur Bundesregierung« sein und bräuchte deshalb mehr »Gestaltungsmacht«.

Doch das Grundgesetz beschränkt die Gestaltungsmacht des Staatsoberhauptes. Die Gegner einer Wahl durch das Volk wollen, dass dies so bleibt. »Eine Direktwahl des Bundespräsidenten würde nur Sinn machen, wenn man das Amt stark aufwerten würde. Das würde aber das Verfassungsgefüge auf den Kopf stellen«, warnt etwa Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki.

Dabei möchte das Wahlvolk gern mitbestimmen. So ergab eine Umfrage des ARD-DeutschlandTrend aus dem Jahre 2010, dass 62 Prozent der Bundesbürger ihr Staatsoberhaupt selbst küren wollen.

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