Bundespräsidenten-Wahl: Begrenzter Zutritt für Rollstuhlfahrer?

Laut Gutachter dürfen sich höchstens 14 Gehbehinderte im Plenarsaal des Reichstags aufhalten

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Weil es im Reichstag an Fluchtmöglichkeiten fehlt, dürfen laut einem dem »nd« vorliegenden Gutachten maximal 14 Rollstuhlfahrer in den Plenarsaal. Bislang weiß niemand, wie viele Gehbehinderte unter den 1240 Wahlleuten der Bundesversammlung am 18. März sein werden.

Ein symbolträchtiges Treffen sollte es werden. Auf Drängen von SPD und Linkspartei hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) für den Dezember 2011 rund 300 Behinderte ins Parlament geladen. Dort wollten sie zusammen mit Abgeordneten im Reichstag über die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention diskutieren. Doch dann der peinliche Rückzieher: Weil sich unter den 300 Behinderten auch 100 Rollstuhlfahrer befanden, musste Lammert im Oktober seine Gäste wieder ausladen. Denn beim Umbau des Gebäudes in den 90ern hatte man es versäumt, behindertengerechte Fluchtwege einzuplanen. Im Brandfall hätte man wohl nicht alle der 100 Rollstuhlfahrer evakuieren können. Also verständigten sich die Bundestagsfraktionen auf eine Verlegung des Termins. Lediglich der Behindertensprecher der LINKEN, Ilja Seifert, wandte sich gegen die Verschiebung. »Das wirkliche Leben hat den Bundestag auf äußerst unangenehme Weise eingeholt«, befand Seifert, der selbst im Rollstuhl sitzt.

Weil bis dato niemand wusste, wie viele Rollstuhlfahrer überhaupt in den Reichstag dürfen, gab die Bundestagsverwaltung ein brandschutztechnisches Gutachten in Auftrag, das dem »nd« nun vorliegt. Darin kommt der Gutachter Helmuth Bachmann zu dem Schluss, dass im Brandfall »bis zu 14 Behinderte im Rollstuhl mit betrieblichen Mitteln evakuierbar« seien. Dass heißt: Mehr als 14 Behinderte im Rollstuhl dürfen nicht in den Plenarsaal. Denn »eine Selbstrettung der Behinderten im Rollstuhl ist nicht möglich«, warnt der Gutachter.

Normalerweise auch kein Problem, da es bislang mit Ilja Seifert und Wolfgang Schäuble (CDU) nur zwei Abgeordnete gibt, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Das könnte bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten am 18. März anders sein. Neben den 620 Bundestagsabgeordneten wird dann die gleiche Anzahl an Wahlleuten aus den Ländern sitzen. Insgesamt 1240 Menschen werden sich im Plenarsaal drängen. Hinzu kommen die Gäste auf den voll besetzten Besuchertribünen. Hier offenbart sich ein weiteres Problem: Der Gutachter geht in seiner Stellungnahme vom Normalbetrieb mit 620 Abgeordneten aus und empfiehlt unter dieser Voraussetzung, höchstens 14 Rollstuhlfahrer in den Saal zu lassen. Bei doppelter Belegung müsste deren zulässige Gesamtzahl aber unter der Empfehlung des Gutachters liegen.

Eine nd-Anfrage beim Bundestag ergab, dass man dort noch nicht weiß, auf wie viele gehbehinderte Wahlleute man sich einstellen muss. Ganz sicher einstellen kann man sich auf Horst Wehner (LINKE). Der Vize-Präsident des Sächsischen Landtags sitzt im Rollstuhl. Ebenso wie die beiden Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU) und Helmut Schmidt (SPD), die wohl zumindest als Gäste der Wahl beiwohnen werden. Nicht auszumalen, wie groß die Blamage wäre, wenn man behinderten Mitgliedern der Bundesversammlung den Zugang verwehren müsste.

Im Bundestag gibt man sich ahnungslos. In der Antwort an das nd heißt es, man werde durch »geeignete Umbaumaßnahmen« sicherstellen, »dass alle im Plenarsaal Platz finden«. Doch der Gutachter warnt nicht vor fehlenden Sitzmöglichkeiten, sondern vor Engpässen bei der Evakuierung. Im Bundestag kennt man das Gutachten. Zumindest heißt es in der Antwort, dass »die Zahlen aus dem von Ihnen genannten Gutachten stimmen«. Offenbar ignoriert man das Problem. Bis es dann vielleicht zu spät ist.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal