Sigmars tönender Ex-Pastor

Gastkolumne

  • Otto Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
Otto Köhler: Der 77-jährige Publizist und Kurt-Tucholsky-Preisträger ist Mitherausgeber der Zweiwochenschrift Ossietzky.
Otto Köhler: Der 77-jährige Publizist und Kurt-Tucholsky-Preisträger ist Mitherausgeber der Zweiwochenschrift Ossietzky.

»Nun also statt der Pest die Cholera.« Das schrieb ich an dieser Stelle vor eineinhalb Jahren, als Joachim Gauck von Christian Wulff geschlagen wurde. Die Cholera hat sich zurückgezogen und wartet nur noch - wenn der Staatsanwalt ihr freigibt - auf den verdienten Zapfenstreich. Sie war, als sie antrat, sympathisch, glaubwürdig, volksnah, wie das Umfrageinstitut Infratest dimap anhand von 899 Befragten sofort und zuverlässig ermittelte.

Jetzt also die Pest. Da stimmt nun nichts mehr. Sie war noch ungewaschen und ungewählt, als im Taxi das Handy klingelte. »Sie fahren jetzt den neuen Bundespräsidenten!« sagte sie dem Mann am Steuer, gab ein ordentliches Trinkgeld und wird im März der Präsident der Herzen, der Sarrazin-geprüften deutschen Herzen. Aber die Umfrage. Am nächsten Tag wurde sie vom zuständigen MDR veranstaltet. Anfangs lief's leidlich: die Hälfte für und die andere Hälfte gegen Gauck. Dann, ab 18 Uhr, schnellten die Zahlen hoch: Keiner liebt die Pest. Der MDR nahm schnell die nicht zielführende Umfrage vom Netz - soviel Nein für Gauck, das muss die Stasi sein oder Merkel, die Rachsüchtige.

Natürlich sie. Der ganze Gauck (»Die Freiheit ist in mir, als wäre sie in mir zu Hause«) ist doch nur ein Jokus von Sigmar Gabriel. Mit diesem tönenden Ex-Pastor wollte er bei der Wulff-Wahl das bürgerlichere Lager aufbrechen. Als Freiheitssäule Westerwelle noch das Sagen hatte, misslang das Manöver. Jetzt mit dem lustigen kleinen Philipp wäre es beinahe gelungen. Der frühreife Rösler - er will doch nicht einfach nur spielen - rechnete sich für seine Dreiprozentpartei die letzte Chance aus: Koalitionsbruch, Neuwahlen mit dem Thema Gauck oder Nichtgauck, da schlagen die Herzen - fünf Prozent bringt das, wenn nicht sechs.

Bringt es nun eben nicht. Die missgünstige Merkel gab nach scheinbarem Abwehrkampf doch dem Pastor ihr Ja. Und hat so die Gaucker in der Tasche. Und die Nichtgaucker auch, weil sie bis zuletzt gezögert hat. Der FDP läutet nächstes Jahr bei der Wahl das Totenglöcklein.

Bleiben die Grünen: Krieg geführt, jede Schweinerei mitgemacht, ihre Westwähler für den Pastor begeistert - jetzt dürfen sie bei der schwarz-roten Hochzeit den Schleier halten. Schluss mit dem Luderleben. Geheiratet wird in dieser Republik Schwarz-Rot.

Und die Linken? Sie müssen nicht greinen, dass sie von Merkel nicht geladen wurden. Wo die vier Einheitsparteien nur noch den falschen Pastor haben, entscheidet die LINKE am Sonntag gleich über drei gute Kandidaten.

Alle drei sind wählbar. Doch ein Zeichen weit über Deutschland für die ganze Welt - das ist die Präsidentschaftskandidatin Beate Klarsfeld. Sie hat 1968 den von der NSDAP zur CDU übergewechselten Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt und damit ein Zeichen gesetzt, dass die jungen Bürger der BRD nicht im - so war das nicht nur juristisch - Nachfolgestaat des Nazi-Reiches leben wollen. Beate Klarsfeld, die dafür gesorgt hat, dass Massenmörder wie Klaus Barbie vor Gericht gestellt werden mussten, steht für das andere Deutschland. Sie wird in diesem Land keine Mehrheit finden, aber allen zeigen: Wir sind auch noch da.

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