Kokosfaserland

Christian Krachts Roman »Imperium« - ein Zeugnis rechten Denkens?

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 7 Min.
Kokosfaserland

Vier Tage, bevor Christian Krachts Roman »Imperium« überhaupt in den Buchhandlungen stand, prognostizierte Peter Richter in der »FAS« (12. Februar), man könne »schon Wetten abschließen, wann der erste Depp über das Stöckchen springt, das Krachts wichtigtuerischer Erzähler ihm hinhält, und Engelhardt [eine Romanfigur, M.H.], den Erzähler oder sogar Kracht selbst zum Nazi erklärt«.

Viel Zeit zum Wetten blieb nicht, denn bereits tags darauf ließ Georg Diez im »Spiegel« seine vierseitige Abrechnung mit Kracht in die Zuschreibung münden: »Er ist, ganz einfach, der Türsteher rechter Gedanken. An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.«

Stante pede verwahrte sich Krachts Verlag per Presseerklärung gegen Diez' »bösartigen« Vorwurf, sprach von »Rufmord« und betonte die »Tradition antifaschistischen und demokratischen Denkens und Publizierens«, in der das Haus Kiepenheuer & Witsch stehe. Ein sodann von siebzehn Schriftstellerinnen und Schriftstellern unterzeichneter offener Brief klagt Diez an, die »Grenzen zwischen Kritik und Denunziation überschritten« zu haben, indem er Äußerungen des Erzählers und der Romanfiguren mit einer unterstellten politischen Haltung des Autors verrechne. In den folgenden Tagen entspann sich in den Feuilletons, angefeuert von diesen außergewöhnlichen Interventionen, eine Debatte um den Roman des Schweizers im Speziellen und um die Aufgaben der Literaturkritik im Allgemeinen.

Seit seinem Romandebüt »Faserland« (1995), der erzählten Reise durch ein Deutschland der Jetztzeit, das hauptsächlich aus Partys, Drogen und Markenartikeln besteht, gilt Kracht als Pionier der deutschsprachigen Popliteratur. Seither auch umgibt ihn die Aura eines Dandys: ein subtil ironischer, unnahbar weltläufiger, eiskalt sezierender Erzählchirurg.

Wer Krachts vierten Roman »Imperium« unvoreingenommen liest, wird feststellen, dass das »antimoderne, demokratiefeindliche, totalitäre Denken« für Kracht in der Tat von größtem Interesse ist. Nur wird es hier nicht verherrlicht, sondern einer frösteln machenden Lächerlichkeit preisgegeben. Mitnichten beschönigt das Buch »rechte Gedanken«, sehr wohl aber setzt es sich erzählerisch meisterhaft mit deren Traditionslinien auseinander.

Im Fokus steht eine spezifische historische Situation, die Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende, in der sich das Südsee-Abenteuer des Nürnberger Aussteigers August Engelhardt abspielt, von dem hier erzählt wird. Was diese Erzählung und all die geschickt darin verwobenen Implikationen uns heute angehen; darüber zu streiten verspräche eine interessantere Debatte als jene um die Frage, ob der Autor »ein Rechter« sei.

Aber diese Frage wird den Betrieb vermutlich weiter beschäftigen. Im gestrigen »Spiegel« modifizierte Georg Diez sein Urteil über Kracht, den er persönlich kenne und dessen Schaffen er aufmerksam verfolge, ohne es zurückzunehmen.

August Engelhardt, dessen Geschichte Kracht fiktionalisiert (»Imperium« ist alles andere als ein Doku-Roman), war ein historisch verbürgter Zivilisationsflüchtling. Angewidert vom bürgerlichen Leben, verließ er 25-jährig seine Heimat, um auf einer deutschkolonialen Südsee-Insel seiner »Privatmythologie« zu huldigen: dem ausschließlichen Verzehr von Kokosnüssen. Auf dem Schiff von hier nach dort beginnt Krachts Roman. Dessen Erzähler schreibt dem Sektengründer Engelhardt, ein Nudist und Anbeter des Sonnenkreuzes (das etwas später in der Hakenkreuz-Version auf den Fahnen der Nazis auftauchte), eine seltsame Offenbarung zu: »Es gab gar keine andere Möglichkeit; cocos nucifera war, so hatte Engelhardt für sich erkannt, die sprichwörtliche Krone der Schöpfung, sie war die Frucht des Weltenbaumes Yggdrasil.« Ein Welt- und Geisteskranker also, bei dessen Abgleiten ins vollends Morbide uns Krachts Erzähler beinahe durchgehend aus gebührendem Abstand zusehen lässt.

Der Erzähler vermag diese Distanz zu halten, der Leser nicht. Denn Engelhardts Weltabkehr rührt aus einem nebulösen Welt-ekel, der auch heute wabert; seine Zeit ist ähnlich krisenhaft wie unsere. »Die großen Umwälzungen, die das Deutsche Reich in diesen Monaten durchmißt«, heißt es über den Protagonisten, »lassen ihn völlig kalt. Zu weit entfernt schon hat er sich von der Gesellschaft und ihren kapriziösen Launen und politischen Moden.« Für Engelhardt ist deshalb die obskure Selbstverwirklichung oberstes Gebot, die daran geknüpfte Rücksichtslosigkeit einbegriffen.

Engelhardt lebt seine spirituell aufgeblähte Vision vom richtigen Leben außerhalb des wirklichen in einer Radikalität, die zu übertreffen kaum möglich scheint. Dass sie durchaus zu übertreffen war, wenn auch ganz anders, behauptet Krachts Erzähler schon zu Beginn: »So wird nun stellvertretend die Geschichte nur eines Deutschen erzählt werden, eines Romantikers, der wie so viele dieser Spezies verhinderter Künstler war, und wenn dabei manchmal Parallelen zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier ins Bewußtsein dringen, der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre, so ist dies durchaus beabsichtigt und sinnigerweise, Verzeihung, in nuce auch kohärent. Nur ist letzterer im Augenblick noch ein pickliger, verschrobener Bub, der sich zahllose väterliche Watschen einfängt. Aber wartet nur: er wächst, er wächst.«

Weltherrschaft (Hitler) und Weltflucht (Engelhardt) - zwei Seiten derselben Medaille? Explizit ist vom »Sonnenkreuzler des Deutschen Volkes« nur noch einmal die Rede; da ist er »zur viehischen Unerträglichkeit« geworden. Demgegenüber steht Engelhardts nicht weniger viehisches, aber doch erträglicheres Schicksal. Davon, wie der Aussteiger allmählich physisch, psychisch und geistig verfällt - am Ende isst er, außer Kokosnüssen, nur noch seine eigenen Nägel, sein Ohrenschmalz, schließlich seinen Daumen - handelt »Imperium«, ein Zeitbild voller beiläufiger literarischer Bezüge und realhistorischer Anspielungen. Am beschränkten Insel-Horizont dräuen vernehmbar kommende, globale Beben.

Bevor der Erste Weltkrieg anbricht, ist Engelhardt zur Touristenattraktion verkommen, man besucht ihn »wie ein wildes Tier im Zoo«. Die Alliierten rücken an, der »Kokovore« verschwindet im Dschungel, um - anders als sein reales Vorbild, das 1919 starb - nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch einmal herauszukriechen. Völlig abgemagert und gaga wird er von einem Häufchen GIs aufgelesen - »dies ist nun das Imperium; man serviert ihm ein mit quietschbunten Soßen bestrichenes Würstchen« -, denen er in verbliebenen Sprachfetzen sein Leben ausbreitet.

Einer der Soldaten lauscht besonders aufmerksam - um festzustellen, dass dieses Leben wie gemacht ist für die Kinoleinwand: »just wait 'til Hollywood gets wind of this und: you, sir, will be in pictures«. Der letzte Satz in Krachts Roman variiert dann den allerersten. Diesmal beschreibt er eine Filmszene. Engelhardt, der deutsche Romantiker, der verhinderte Künstler, ist selbst zum doppelten Kunstwerk geworden. Nicht das deutsche, sondern ein anglo-amerikanisches »Imperium« hat sich durchgesetzt, politisch, lebensweltlich, kulturell.

Der Roman konstatiert diesen Imperialismus unterm Banner der Freiheit mehr, als dass er ihn bewertet. Möglicherweise ist es das, was Georg Diez als rechts empfindet, als »antiamerikanisch«.

Um mehr darüber zu erfahren, wer zwar nicht Kracht, aber dessen Erzähler ist, lohnt es, jenen zwei einzigen Romanstellen Aufmerksamkeit zu schenken, in denen dieser Erzähler aus seiner scheinbar allwissenden, oft oberlehrerhaften Souveränität tritt - und »ich« sagt. An der späteren dieser Stellen gibt er sich als Enkel eines deutschen Soldaten zu erkennen, der im Ersten Weltkrieg nur zentimeterknapp mit dem Leben davonkam, um dann, zu Hitlers Zeit, die Judendeportation ignorieren zu können.

Dieser (absichtsvollen?) Ignoranz der Großeltern - »so, als hätten sie überhaupt nicht gesehen, wie dort mit Koffern beladene Männer, Frauen und Kinder am Dammtorbahnhof in Züge verfrachtet und ostwärts verschickt werden« - setzt der erzählende Enkel ein oft schmerzhaftes Interesse am Detail entgegen. Da dieses Interesse aber historische und geistesgeschichtliche Zusammenhänge betrifft, die für den Nachgeborenen nicht unmittelbar fassbar sind, bindet es neben überlieferten Erzählungen und Dokumenten auch Zeugnisse der Kunst ein. So entstammt etwa Christian Slütter, die einzige Romanfigur, der moralisch kaum etwas vorzuwerfen ist, dem Hugo-Pratt-Comic »Südseeballade«.

Kraft literarischer Könnerschaft und einer Fantasie, die über all das montierte Vorgefundene hinausweist, wird bei Kracht daraus dann wieder ein Kunstwerk. Wenn man will, kann man das Pop nennen - aber rechts?

An der anderen Romanstelle, an der das Erzähler-»Ich« dem lesenden Auge noch unvermittelter, noch stärker aus der Anonymität entgegenspringt, spekuliert die Stimme aus dem Off darüber, was August Engelhardt zu dem gemacht hat, was er hier wird: »Ich glaube nicht, daß er jemals einen Menschen wirklich geliebt hat.«

Christian Kracht: Imperium. Kiepenheuer & Witsch, 244 S., geb., 18,99 €.

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