Kein Protest, wo NPD-Mann wohnt?

Polizei untersagte Anti-Nazi-Demonstration in Schöneweider Brückenstraße

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Demonstrationszug am heutigen Abend gegen das dreijährige Bestehen der Nazikneipe »Zum Henker« und gegen rechte Strukturen in Schöneweide darf nicht durch die Brückenstraße führen. Das untersagte die Polizei dem Veranstalter in einem schriftlichen Bescheid.

Doch in dieser kurzen Straße, die vom S-Bahnhof Schöneweide zur Spree führt, befinden sich die Orte, gegen die sich der Protest richtet: Der »Henker«, der von NPD-Chef Sebastian Schmidtke betriebene Szene- und Waffenladen »Hexogen« und weitere Örtlichkeiten, in denen Nazis ein- und ausgehen. Genau dort wollen die Nazigegner von Grünen, LINKE und SPD ihren Protest artikulieren.

In dem Auflagenbescheid argumentiert die Polizei mit den Schutz der Privatsphäre von Sebastian Schmidtke. Der NPD-Politiker würde unter falschem Namen in der Brückenstraße wohnen. Silvio Kurz vom Veranstalter Antifaschistisches Bündnis Südost ergänzt: »Telefonisch wurde uns außerdem mitgeteilt, Schmidtke hätte mit dem Weg zum Verwaltungsgericht gedroht, falls der Demonstrationszug an seiner Wohnung vorbeiführen sollte.«

Gedroht wohlbemerkt. Für Kurz ist die Reaktion der Polizei darum »vorauseilender Gehorsam«. Er hätte einen Anwalt beauftragt, gegen die Auflage vor dem Verwaltungsgericht zu klagen. Eine Entscheidung ist erst am heutigen Freitag zu erwarten.

Dem Gerichtsentscheid dürfte grundsätzliche Bedeutung zukommen. Sollte sich die Auffassung der Polizei durchsetzen, können in Berlin so genannte national befreite Zonen zementiert werden. Sobald ein prominenter Nazi dort seinen Wohnsitz nimmt, können Proteste wegen des Schutzes dessen Privatsphäre untersagt werden.

Die Brückenstraße in Schöneweide ist längst das Zentrum der gewaltbereiten rechten Szene der Stadt. Hinzu kommt: Zeitgleich zur Demonstration will der »Henker« in seinen Räumen sein dreijähriges Bestehen feiern. Der nahe gelegene Club »Dark7side« am gegenüberliegenden Spreeufer wirbt für eine zeitgleich stattfindende Böhse-Onkelz-Party. Mit der Entscheidung, nicht an den Orten des Geschehens vorbeilaufen zu dürfen, schützt die Polizei diese Veranstaltungen vor Protesten und ermöglicht den Besuchern den freien Zugang.

Polizeisprecher Carsten Müller erläutert die Entscheidung: »Wir hatten eine Abwägung zu treffen zwischen dem Demonstrationsrecht und dem Grundrecht auf Privatsphäre. Wir haben uns für das Grundrecht auf Privatsphäre entschieden.«

Das sieht die Expertin für Rechtsextremismus der Grünen-Abgeordnetenhausfraktion, Clara Herrmann, anders: »Hier handelt es sich ja nicht um eine Demonstration zur Wohnung eines NPD-Politikers, sondern um eine gegen braune Strukturen in der Brückenstraße. Da nützt es den Demonstranten nichts, durch die zweite Parallelstraße zu laufen.«

Für Hans Erxleben, LINKE-Bezirkspolitiker und Sprecher des überparteilichen Bündnisses für Demokratie und Toleranz in Treptow-Köpenick ist der Polizeibescheid »ein einmaliger politischer Skandal«. Es sei nicht hinzunehmen, »dass organisierte Neonazis diktieren können, in welcher Form Protest geäußert werden darf. Ein friedlicher und bunter Protestzug muss am Freitag durch die Brückenstraße führen und gerade dort ein Zeichen gegen Neonazis setzen.«

Mehrere Mitglieder des Abgeordnetenhauses wie Clara Herrmann und Harald Moritz von den Grünen sowie Uwe Doering und Hakan Tas von den LINKEN, der Jugendstadtrat von Treptow-Köpenick Gernot Klemm (LINKE) und Bezirksverordnete aller demokratischen Fraktionen haben ihr Kommen angekündigt. Bereits letzten Sommer hatte ein bunter Demonstrationszug mit knapp 1000 Teilnehmern friedlich gegen die Eröffnung von Schmidtkes »Hexogen« protestiert - durch die Brückenstraße in Schöneweide.

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