Noel Gallagher auf Solo-Tour

Jetzt steht er da, ganz allein, immer noch dieselbe alte rote Gibson E-355-Gitarre in der Hand. Hinter ihm sein Name, zehn Meter hoch und fünf Meter breit in hunderten von LED-Lämpchen hell erleuchtet, so gehört sich das für einen Rock Star. Noel Gallagher, einstiger musikalischer Kopf von Oasis - der einst größten Rock'n Roll Band der 90er Jahre - ist zurück auf der Bühne. Ab sofort ohne den großen Zankapfel und mega-Pöbel, Bruder Liam, und mit neuer Band, den »High Flying Birds«.

Am vergangenen Freitag musste er den Nostalgikern in der Max-Schmeling-Halle mit ihren fransigen Brit-Pop-Frisuren und den Armeeparkas nichts mehr beweisen. Und so steht Noel in einer stoischen Ruhe vor seinem Mikro, hat zuvor kein Wort zur Begrüßung gesagt, kneift die Augen zu, wie er es immer macht, um die hohen Töne nicht zu verlieren und singt »(It's Good) To Be Free«, ein Oasis-Song und wohl trotziges Statement.

»Meinst Du diesen Blödsinn ernst!?«

Vor drei Jahren zerdeppert der eine Bruder dem anderen die Gitarre. Liam, mit der für ihn notorischen Bockigkeit eines Kleinkindes, wirft Noel hinter der Bühne eine Pflaume an den Kopf und zack - Oasis waren Geschichte. Noel muss jetzt Frontmann und musikalisches Mastermind in einem sein, ersteres gefällt ihm gar nicht, aber dafür ist er auf der Bühne zu sehr Routinier. Er tarnt den Unwillen mit gewohnter Rotzigkeit. Als aus der vordersten Reihe schon nach dem ersten Lied ein Songwunsch kommt, den er mitnichten spielen will, faucht er ein »Meinst Du diesen Blödsinn etwa ernst?!« in seinem Manchester-Akzent zurück und das war's, keine Diskussion. Die ersten Töne von »Mucky Fingers« aus dem vorletzten Oasis-Album ertönen, Noel zieht seine Jacke aus und erntet tosenden Beifall. Die Gibson E-355 schießt die schrammeligen Akkorde wie Maschinengewehrsalven durch die Halle und endlich: sachtes Kopfwippen im Publikum, dann recken die ersten ihre Hände in die Luft. Ein paar stehen von ihren Sitzen am Rand auf. Ganz vorne springen zwei mit Bier in der Hand auf und ab. Jetzt hat er sie an der Angel.

Die Dramaturgie ist klar. Erst mit den altbekannten Liedern anfüttern, mittendrin Songs vom neuen Album, um die Spannung zu halten, aber nicht zu dick auftragen, so wie mit dem eingängigen »AKA …What a Life«, um dann zum emotionalen Showdown anzusetzen: die großen Oasis Hits »Whatever« und »Little by Little«. So richtig kocht der Saal nur bei den alten Krachern. Er singt die Songs, die früher von der schnorrig, nasalen Stimme seines Bruders gelebt haben, mit viel mehr Tiefe. Die spritzige Großspurigkeit ist verloren gegangen, aber es spricht dennoch Beständigkeit aus ihnen.

Isoliert für neunzig Minuten

Zwischen zwanzig und Mitte fünfzig ist das Publikum. Eng umschlungene Liebende stehen neben bierbecherschmeißenden Draufgängern. All jene haben sich hier versammelt, die mal für neunzig perfekt arrangierte Minuten isoliert sein wollen von allem Trendigen, Elektronischem, Bunten, Hippen. Umso deutlicher werden die Zeitreisenden in die Wirklichkeit zurückgeholt. Der letzte Song, natürlich die Königin der Stadionhymnen »Don't Look Back in Anger«, verhallt, die Lichter gehen an und prompt stehen Reinigungskräfte Spalier. Mit blauen Helmen und riesigen Wischmobs bewaffnet fegen sie zwischen den letzten Träumern den ehrlichen Rock'n Roll aus der Halle.

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