»Leben beschädigt«

Senta Berger zu Gast bei Gregor Gysi im Deutschen Theater Berlin

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie ist eine starke Schauspielerin raffiniertester Methodik: Das fein Mondäne kann überfallartig wechseln ins gnadenlos Derbe, Angriffige; und ausgestellte Einfalt unter großen staunenden Augen vermag verblüffend umzuschlagen in schöne Souveränität - in eine Selbstsicherheit, die vom Bewusstsein der eigenen Grazie herrührt. Senta Berger. Ihre Ermittlerin in der TV-Reihe »Unter Verdacht« ist eine Ausnahmeerscheinung: Aus den Stoffen drängt der Zorn über eine Kriminalität, die nicht nur individuelles Versagen ist, sondern strukturelles Gebrechen - Polizeirätin Eva Prohacek, in ihrer Anrennungskraft, dann wieder in ihren Ohnmachtsstummschreien erinnert an die unermüdlichen wie verzweifelnden Helden der Antimafia-Filme Damiano Damianis.

Senta Berger. Sie war am Sonntag Gast in Gregor Gysis Gesprächsreihe am Deutschen Theater Berlin. Berger ist eine wundervolle Erzählerin, mit Maß für Tonlagen, Spannungen, Pointen, mit witzigem Sinn für wienerische Verstärkungen ihrer Existenz-Episoden. Die 1941 Geborene erzählt von Bombenangriffswirren, von »Aschefladen« über der brennenden Staatsoper, von einem todesnahen Einbrechen ins Eis, vom Rauswurf aus dem Max-Reinhardt-Seminar (unerlaubte Arbeit beim Film), von Heinz Rühmann, dem väterlichen Freund, einem Gebrochenen, »der Nazikaste gefährlich nah«; von ihrer Mutter erzählt sie, diesem »Arbeitermädel bis zum Lebensende«, und vom Vater, der eine Musikerlaufbahn träumte, aber den großväterlichen Verchromungsbetrieb übernehmen muss, der im Kurpark musiziert und so seine Kraft, die eigene Tragödie auszuhalten, mit kleiner Münze belohnt bekommt.

Die Schauspielerin stockt aufgewühlt, als sie von der Frau eines befreundeten US-Produzenten erzählt, an deren Arm sie zufällig die KZ-Nummer entdeckte. Warum sie ihr das verschwiegen habe, hatte Senta Berger gefragt. Die Antwort der Frau: »Ich will doch, dass du die Menschen liebst.«

Das Bestandsglück ihrer Ehe mit Michael Verhoeven (»ich versuche meinen Mann zu verstehen, und er versteht, warum ich ihn manchmal nicht verstehe«) begründet sie mit Alfred Polgar: Es komme nicht darauf an, eins zu werden, sondern zwei zu bleiben.

»Ausdrücken, was das Leben einem eindrückt«, so fasst sie ihren Beruf zusammen. Und sich selber so: »Ich habe keine Geduld, aber Kraft«. Nie möge man der Wahrheit ausweichen, dass »Leben beschädigt«. Die grausigen Nachmittagstalks der privaten Sender nennt sie das »Elend des Subproletariats«, und wie groß die Macht der Sendeplatzierung ist, bewies die Serie »Kir Royal«, in der sie eine Hauptrolle spielte: Die Filme liefen nach 21 Uhr, mäßig der Erfolg, erst das Drängen, sie nach einem Jahr 20.15 Uhr noch einmal zu zeigen, erbrachte den Quoten-Glanz. Nur wer in der Hauptsendezeit lebt, lebt wirklich.

Theater, Film, obwohl Ort der Maske, des Rollenwechsels, stellt in Wirklichkeit bloß. Draußen ist es leicht, sich zu verstellen, in der Kunst schwer. Wenn man denn gut sein will. Gut heißt: glaubwürdig, wahrhaftig. Paradox: Just in fremder Haut muss die ureigene Seele am stärksten sie selber sein. Denn sie muss ungeschützt ins Sichtbare. Starker Beifall für eine Künstlerin, bei der man Spiel denkt und Persönlichkeit erlebt. Wie sich Politik geändert hat, dafür nennt sie Herbert Wehner: »Der hätte nie die Telefonnummer eines ›Bild‹-Chefredakteurs in der Hosentasche gehabt.«

Vor Kurzem saß Senta Berger im Fernsehen auf Gottschalks TV-Sessel, und von Gysi, so schien es mitunter, wurde sie noch mal da hineingesetzt. Eine denkende Schauspielerin, ein politisches Wesen, eine wach Beteiligte am Wirbel der Welt (Afrika bewegt sie, eine fatal konfliktverschärfende Entwicklungs-»hilfe«) - aber in den Fragen dann diese Preislage: Wie war der so, der Alain Delon? Stichwort-Schnupperkurse an den Stars entlang, mit denen die Berger drehte. Zweimal hakt sie nach, befürchtet zu lange Erkundigungs-Exkurse in die Kindheit, zeigt Bedürfnis, als sehr Gegenwärtige, gleichsam geist-voll ins Gespräch genommen zu werden.

In Israel hat sie, die Deutsche, eine jüdische Widerstandskämpferin gespielt, gegen viele Widerstände dort, und sie sagt, sie habe in Israel eine wichtige Zeit verbracht. Warum? - hätte eine Frage sein können. Mit Michael Verhoeven (Vater Paul Verhoeven drehte übrigens den legendären DEFA-Film »Das kalte Herz«) ist sie nach erfolgreichen Jahren aus den USA weggegangen, junge Filmemacher begannen die Szene zu beherrschen, mit sehr eigenen Themen, kein Platz mehr fürs Kino des Kalten Krieges, in dem die Berger die geheimnisvolle Exotin sein durfte. Dieser Weggang: eine Frau mit genauem Gespür für Wert, Wirkung und die jeweilige Zeit für beides.

Verhoeven hatte damals ein Stück geschrieben, »O.K.«, das drängte nach Deutschland, Senta Berger erwähnt es - das hätte eine Frage sein können. Dramatik wider den Vietnamkrieg: In bayrischen Wäldern wird, brechtisch verfremdet, eine authentische Gewalttat von US-Soldaten nachgespielt (lange vor Abu Ghraib!), daraus wurde ein Film, der als Wettbewerbsbeitrag 1970 die »Berlinale« sprengte; der Jurypräsident forderte die Zurücknahme des Films, das Festival wurde, welch einmaliger Vorgang, abgebrochen.

Mit ihrem Mann kaufte die Berger das Kino »Toni« in Berlin-Weißensee, eine Alternativstätte zur Blockbuster-Welt, und gemeinsam gründeten sie die unabhängige Filmproduktionsfirma »Sentana«. Verhoeven (»Das schreckliche Mädchen«, »Die weiße Rose«, »Mutters Courage«) drehte stets nur die Filme, die er wollte - eine Unabhängigkeit mit viel Risiko, auch finanziell (»bis hin zur Hypothek aufs Haus«), aber ohne Risiko keine Möglichkeit, den eigenen Charakter zu genießen. Mit Verhoeven drehte Berger die erfolgreiche TV-Serie »Die schnelle Gerdi«, wie ist das, der eigene Mann als Regisseur? - hätte eine Frage sein können. Ebenso wie ihre Präsidentschaft in der Deutschen Filmakademie. Gysi fragt nur, ob so was »Spaß macht«. Selbstbewusste Antwort: »Ja.« Das Warum bleibt im Dunkel.

Selbstredend: Knapp zwei Stunden sind keine Ewigkeit. Ein Leben will und darf ausgebreitet sein. Schöne Mählichkeit ist der Adel dieser Vormittage, hier wird um Biografie - gebeten; in sie wird nicht eingebrochen. Trotzdem der Wunsch: im Fragen weniger Abfolge, mehr Querweg.

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