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Kommunist und Zionist

Internationale Konferenz in Jerusalem ehrte Moses Hess

  • Mario Keßler
  • Lesedauer: 3 Min.

Er gehört zu den unterschätzten Persönlichkeiten der internationalen Arbeiterbewegung: Moses Hess (1812-1875). Ihn wieder in Erinnerung bringen war das Ansinnen einer internationalen Konferenz in Jerusalem, die vom dortigen Leo-Baeck-Institut und dem Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit dem Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Philosophie der Universität Frankfurt am Main und dem Centre for German-Jewish Studies der University of Sussex in Brighton ausgerichtet wurde.

Moses Hess, vor 200 Jahren in Bonn in einer jüdischen Familie geboren, hatte sich dem väterlichen Wunsch nach einer kaufmännischen Laufbahn durch die Entscheidung für den risikoreichen Beruf des freien Journalisten und Schriftstellers entzogen. Der autodidaktisch Gebildete entschied sich früh für den Kommunismus und machte Friedrich Engels mit kommunistischen Ideen bekannt.

Willi Goetschel (Toronto) und Tracy Matysik (Austin/Texas) umrissen auf der Konferenz den großen Einfluss Spinozas bereits auf das frühe Denken von Hess, David McLellan (Canterbury) und Michael Kuur Sörensen (Odense) untersuchten dessen Beziehung zu Marx und Engels, die sich unter anderem in der Ausarbeitung der »Deutschen Ideologie« niederschlugen. Eine Reihe von Beiträgen widmete sich seinem Platz im säkularen jüdischen Denken, vor allem anhand seines 1862 publizierten Hauptwerkes »Rom und Jerusalem«. Dieses Buch kann als ein Gründungsmanifest des Zionismus gesehen werden, lange bevor der Terminus überhaupt existierte. Hellsichtig sah Hess, dass die Abneigung gegen die Juden durch deren Taufe nicht gemildert werde: Die christliche Mehrheitsgesellschaft mochte, wie er schrieb, die »jüdischen Nasen« nicht. Rassistische und nicht nur religiöse Vorurteile würden die Juden immer mehr ausgrenzen. Sie bedürften deshalb eines eigenen Staates, der auf genossenschaftlicher, sozialistischer Basis organisiert sein und so anderen Völkern ein Beispiel geben solle. Shlomo Avineri (Jerusalem) betonte, das Hess nicht gegen, sondern mit den Arabern die Errichtung einer jüdischen Heimstatt in Palästina anstrebte. Die Juden müssten den Arabern im Vorderen Orient helfen, sich von der Herrschaft des Türkischen Reiches zu befreien. »Wer unter den Arabern dachte damals überhaupt an die Möglichkeit einer nationalen Befreiung?«, fragte Avineri. »Noch niemand, und auch das spricht für den politischen Scharfsinn von Hess.«

Mirjam Thulin (Frankfurt/Main) referierte über die Freundschaft zwischen Hess und dem jüdischen Historiker Heinrich Graetz. Adam Sutcliffe (London) und Sharon Gordon (Jerusalem) legten dar, wie Hess in seiner Arbeit »Über das Geldwesen« antijüdische Vorurteile überprüfte und nach einer Verbindung von Sozialismus und jüdischer Ethik suchte. Andere Beiträge widmeten sich den Beziehungen von Hess zu Heinrich Heine (Silvia Richter, Heidelberg, und Mark Gelber, Beersheva), Giuseppe Mazzini (Lorenzo Santoro, Cosenza), den jüdischen Theologen Leopold Löw (George Kohler, Beersheva) und Samuel Hirsch (Christian Wiese, Frankfurt/Main). Moshe Zuckermann (Tel Aviv) befasste sich kritisch mit Georg Lukacs’ ablehnender Haltung zu Hess; dies war der Tatsache geschuldet, dass der ungarische Philosoph sich selbst mit Anfeindungen in der kommunistischen Partei konfrontiert sah. In der DDR bemühten sich Auguste Cornu und Wolfgang Mönke um eine positive Bewertung von Hess.

Die Konferenz in Jerusalem würdigte Hess als einen hellsichtigen Warner vor Antisemitismus, Militarismus und Chauvinismus. Sein Kölner Grab überstand die Nazizeit, 1961 wurde sein Leichnam an den Kinneret-See nach Israel überführt, wo ihm die Konferenzteilnehmer schließlich ebenfalls noch Ehre erwiesen.

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