Weg des Kreuzes und: Singet dem Herrn

»Zeitfenster« für Alte Musik im Berliner Konzerthaus

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 4 Min.

Zum 6. Mal hat sich das »Zeitfenster«, Biennale für Alte Musik im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt, geöffnet - noch bis morgen. Seit nunmehr zehn Jahren sollen uns ferne Musikwelten entdeckt, Wurzeln europäischer Musiktradition erkannt werden. Und da hat sich im historischen Rückblick ein musizierendes Flair gebildet, dessen klingende Köstlichkeiten das Publikum anziehen. Eine Erweiterung des Musikverständnisses und konzertante Erfahrung in praktischem Tun und Erleben - darin mag das wichtigste Ergebnis dieser Biennale Alter Musik und ihres »Zeitfensters« bestehen, das nun in seinem Jubiläum zu feiern ist.

Wesentlichen Anteil am beachtlichen Niveau hatten natürlich vor allem jene Interpreten, die kontinuierlich beteiligt waren: so die Akademie für Alte Musik Berlin oder der Rias-Kammerchor, aber auch ausländische Musiker wie der namhafte spanische Gambist und Kenner historischer Musik, Jordi Savall, mit seinem Ensemble Hespérion XXI. Jetzt präsentierten sie eine Folge mit traditionellen Klängen des 8. bis 13. Jahrhunderts aus dem Mittelmeerraum von Algerien, Italien, Frankreich, der Türkei bis Bulgarien, Israel und Griechenland als »Mare nostrum«, ein Dialog unterschiedlicher Kulturen.

Um solchen Austausch zu erweitern, hat man die Podien des Konzerthauses um weitere Spielstätten ergänzt: Philharmonie, Radialsystem, Sophiensaele und Gethsemanekirche mit anderen Auftritts- und Darbietungsmöglichkeiten sollen das Umfeld Alter Musik - auch im Kontakt mit Heutigem - bereichern. Solche Offenheit macht ein kreatives Verhalten zu historischen Quellen des Europäischen möglich.

Offenheit bestimmt auch das Engagement anderer international bekannter Ensembles fürs »Zeitfenster«. So sind Überraschungen bei der Interpretation ein Bestandteil des jeweiligen Gesamtprogramms. Diesmal brachten die Lautenistin Christina Pluhar und ihr Ensemble l’Arpeggiata Besonderes mit: nämlich eine »Rappresentazione sacra« »Via Crucis« (Weg des Kreuzes«) - zurückzuführen auf jene geistlichen Darstellungen, die im 15., 16. Jahrhundert vor allem in Florenz Bibelstoffe oder Heiligenlegenden außerliturgisch in italienischer Sprache mit weltlichen Episoden theatralisch und musikalisch mit Kanzonen und Lauden ausstattete. Eine Vorform des Oratoriums. Pluhar bildete dies in fünfzehn Abschnitten nach: ein Wechsel von instrumental begleitetem Sologesang der Sopranistin Raquel Andueza und Instrumentalstücken sowie Solotanz (Anna Dego).

Ganz besonders faszinierte das korsischer Tradition verbundene Vokalensemble »Barbara Furtuna« mit archaisch anmutendem polyphonem A-cappella-Gesang: Vier Männer boten, introvertiert, doch äußerst intensiv religiöse Gesänge (Maria, Stabat mater), feinsinnig ergänzt durch die Sängerin Lucilla Galeazzi. Neben derlei Traditionellem gab es Instrumentales mit den historischen Instrumenten des Ensembles, darunter Soli (Doron Sherwin) auf dem Zink (einem Horninstrument des 16. Jahrhunderts) bei einer Ciaccona von Maurizio Cazzati. Außerdem waren als Tonsetzer des 17. und 18. Jahrhunderts unter anderen Giovanni Girolamo Kapsberger instrumental (Toccata prima) und Claudio Monteverdi vokal (Laudate dominum) vertreten. Ein Hörerlebnis aus der Renaissance voller Überraschungen.

Um Überraschungen ging es bei einem Abend des Tölzer Knabenchors unter Leitung von Gerhard Schmidt-Gaden mit »Motetten der Familie Bach« nicht. Denn vom Wirken der »Bache« in Thüringen während des 17., 18. Jahrhunderts hat wohl jeder Musikinteressierte schon gehört. Dennoch war es nicht ohne Witz, die Bach-Komponisten, die alle mit erstem Namen »Johann« hießen, in einer Reihe als Schöpfer zu erleben: entfernte Verwandte des nach wie vor bedeutendsten Bach: Johann Sebastian.

Das Motetten-Programm, ausschließlich jener historischen Form der Gattung gewidmet, sollte die komponierenden Bache vorstellen. Sicher eine etwas enge Wahl, obwohl für den Chor günstig. Die Sängerknaben bewährten sich mit gesteigertem, oft strahlendem Klangvolumen und präziser Intonation. Allerdings erschien das Dirigat von Schmidt-Gaden (Gründer und langjähriger Chef des Chors) vornehmlich bei den Stücken der Familie des J. S. B. recht müde und behäbig in langsam-andächtigem Tempo (unbefriedigend, obwohl es zumeist Beerdigungsmusiken waren). Schade für die vokal differenziert agierenden jungen Sänger. Man wünschte sich da mehr Temperament zu den in beachtlicher Genauigkeit wiedergegebenen doppelchörigen Strukturen.

Am stärksten beeindruckte natürlich Johann Sebastian: Seine späte, in Leipzig 1726/27 komponierte Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« (BWV225) gelang den Tölzern bravourös in Volumen und Ausstrahlung, gekrönt von einer wunderbaren vierstimmigen Fuge.

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